Vorbemerkung.
Das römische Recht nennen wir nach einer Stadt, die sich im Laufe der Jahrhunderte
zum Universalstaate des Altertums aufgeschwungen hat. Dem deutschen Rechte gab ein ganzes
Volk den Namen, das einer straffen Zusammenfassung stets entbehrte, auch in der Zeit, als es
im Rahmen des heiligen römischen Reiches seine staatsrechtliche Einheit gefunden hatte. Damit
ist von vornherein ein tiefgreifender Gegensatz in der Geschichte beider Rechte angedeutet. In
Deutschland gebrach es an den Voraussetzungen der einheitlichen und künstlerisch abgeschlossenen
Ausbildung des römischen Rechts. Der deutschen Rechtsentwicklung fehlte ein Kristallisations-
punkt, wie ihn das römische Recht in der urbs gefunden. Von oben her war sie fast vollständig
sich selbst überlassen. Nie hat ein deutscher Herrscher auf die Rechtserzeugung einen so nach-
haltigen Einfluß genommen, wie ihn der Papst als das Haupt einer festgegliederten Hierarchie
durch seine Dekretalen auf die Gestaltung des kanonischen Rechts ausübte. Umsonst suchen
wir in der Geschichte des deutschen Rechts nach einer Periode, da die Justizpflege in den Händen
eines absoluten Königtums und eines von ihm abhängigen Juristenstandes zentralisiert wurde,
wie dies in England unter den normannischen Königen der Fall war. Bis zur Gründung des
neuen Deutschen Reiches fehlte die Fähigkeit oder die Möglichkeit, im Wege der Gesetzgebung
ein einheitliches Recht zu schaffen, wie es Frankreich seit Ludwig XIV. durch königliche Ordon-
nanzen, dann unter Napoleon I. durch dessen Kodifikationen erhalten hatte. Mit dem hervor-
gehobenen Mangel kräftiger Organe einer einheitlichen Rechtsbildung hängt es zusammen,
daß es dem deutschen Rechte nicht beschieden war, seine Entwicklung selbständig zu vollenden.
Zu einer Zeit, als es seine Jugendperiode noch nicht überschritten hatte, seit der Mitte des
15. Jahrhunderts, wurde in Deutschland fremdes Recht rezipiert, nämlich römisches Recht,
kanonisches Recht und langobardisches Lehnrecht. Diese bedeutungsvolle Tatsache rechtfertigt
es, die Geschichte des deutschen Rechts zunächst in zwei Zeitabschnitte zu teilen: die Periode
der nationalen Rechtsbildung und die Periode der Vorherrschaft des fremden Rechtes. Inner-
halb des älteren Zeitraums unterscheiden wir wieder die germanische Rechtsbildung bis zum
Abschluß der Völkerwanderung, die Rechtsbildung in der fränkischen Monarchie und die des
Deutschen Reiches bis zum Ausgang des Mittelalters. Einen dritten Zeitabschnitt wird der
Rechtshistoriker der Zukunft mit den Kodifikationen der deutschen Reichsgesetzgebung zu be-
ginnen haben, die der Herrschaft des fremden Rechtes in Deutschland ein Ende machten.
Die Geschichte des Rechts zerfällt nach dem Gegenstande ihrer Betrachtung in die all-
gemeine und in die besondere Rechtsgeschichte, je nachdem sie die Entwicklung des Rechts in
seiner Totalität oder die Entwicklung der einzelnen Rechtsinstitute verfolgt. Man pflegt dafür
sonst von äußerer und von innerer Rechtsgeschichte zu sprechen, Ausdrücke, die wenig passen,
weil das Ganze eines Organismus nicht mit seiner Außenseite zusammenfällt und ebensowenig
die einzelnen Glieder seine innere Seite bilden.
Auch in der Geschichte des Rechts waltet das Gesetz der allmählichen Differenzierung.
Einrichtungen, die sich in jüngeren Perioden mit scharf ausgeprägten Gegensätzen als ver-
schiedenartige Rechtsgebilde gegenüberstehen, sind in den Anfängen der Entwicklung gegen-
satzlos in einem Rechtsgebilde vereinigt, welches sich erst im Laufe der Zeit mit Rücksicht auf
die verschiedenen Funktionen, die es übernimmt, in mehrere zerspaltet. Im Hinblick auf jenes
Gesetz der Differenzierung der Rechtsinstitute erscheint es für die geschichtliche Behandlung
des Rechts als geboten, den Stoff zunächst nach Perioden und erst innerhalb dieser, soweit es
angeht, nach dem System der Rechtsinstitute zu gliedern.
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