1. H. Brunner, Quellen und Geschichte des deutschen Rechts. 89
vor dem Könige hatte. Ludwig der Deutsche vereinigte dann das Amt des Hofkaplans mit
dem des Kanzlers. Seit der Leiter der Kanzlei zugleich das Haupt der Hofklerisei war, gewann
er hervorragenden politischen Einfluß. In Sachen der Hof= und Reichsverwaltung beriet sich
der König, wie das in der Natur der Dinge lag, zunächst mit Personen des Hofstaats, die sein
besonderes Vertrauen genossen. Er fragte um Rat, wen er eben fragen wollte. Es gab aber
auch berufsmäßige Räte des Königs, die er aus seiner ständigen Umgebung wählte oder von
auswärts an seinen Hof zog. Sie führten den Amtstitel consiliarii und hießen wohl auch sena-
tores oder consiliarü à secretis.
Beamte für die Verwaltung der königlichen Domänen waren unter den Merowingern
die domestici. Es gab einen domesticus am königlichen Hofe, welcher die Oberaufsicht über
die Domänenverwaltung hatte. Außerdem walteten domestici in den einzelnen Provinzen
des Reichs. Noch in merowingischer Zeit zog der Hausmeier die Funktionen des Hofdomestikus
an sich. Die provinziale Domänenverwaltung steht in karolingischer Zeit unter der Aufsicht
und Kontrolle der königlichen Missi. Die ständigen Domänenbeamten erscheinen nunmehr
unter dem Namen actores dominici. Der einzelne Gutskomplex, fiscus, ist in eine Anzahl
ministeria eingeteilt, deren jedes einem Unterbeamten des actor, einem maior, zugewiesen ist.
Offentliche Angelegenheiten pflegte der König mit den Großen des Reichs auf den Reichs-
oder Hoftagen zu beraten, die in der Regel im Anschluß an Hoffestlichkeiten stattfanden. Sie
enthalten den rechtsgeschichtlichen Keim unserer ständischen und parlamentarischen Vertretungs-
körper. Die Teilnahme erscheint nicht unter dem Gesichtspunkte des Rechts, sondern der Pflicht
und beschränkt sich tatsächlich auf das höhere geistliche und weltliche Beamtentum und auf die
Antrustionen der merowingischen, die königlichen Vasallen der karolingischen Zeit. Im Monat
März, seit 755 im Mai wurde Heerschau abgehalten; die Heerversammlung hieß daher März-
feld, dann Maifeld (auch wenn sie etwa in den Hochsommer fiel). Bei dieser Gelegenheit machte
man dem versammelten Volke Mitteilung über wichtigere Entschlüsse, mitunter deshalb, um
sich die Akklamation zu verschaffen, ein Vorgehen, in welchem das einzige Moment der fränki-
schen Verfassung liegt, das an die Stellung der alten Landesgemeinde erinnert. Die Mit-
regierung, die diese einst ausgeübt hatte, begannen unter veränderten Verhältnissen seit Lud-
wig I. die Hof= und Reichstage zu erwerben.
§ 18. Die Verwaltungsbezirke und ihr Amterwesen. Das Reich zerfiel in eine große
Anzahl von Grasschaften (comitatus) oder Gauen. Unter den Merowingern stand in einzelnen
Teilen des Reiches über den Grafschaften ein größerer Verwaltungsbezirk, das Herzogtum,
ducatus. Die Grafschaft gliederte sich in eine Anzahl von Hundertschaften (centenae), welche
die Bedeutung räumlicher Bezirke gewonnen hatten. In Gallien hieß der Unterbezirk der
Grasschaft vicaria.
An der Spitze der Grafschaft stand ein vom König ernannter Beamter, comes, grafio.
Er hatte militärische Gewalt, die vermutlich den Ausgangspunkt des Amtes bildete; insbesondere
lag ihm ob, den Heerbann der Grafschaft auszuheben und anzuführen. In den neufränkischen
Gebieten succedierte er in die Jurisdiktion des römischen Provinzialstatthalters; in den alt-
salischen Landen war er zur Zeit der Abfassung der Lex Salica noch auf die Exekution beschränkt;
hier hat er die Stellung des Richters im Gau erst im Laufe des 6. Jahrhunderts erlangt, nach-
dem er einen nicht königlichen Beamten der Salfranken, den Thungin, thunginus, verdrängt
hatte, der bis dahin als Vorsitzender in den echten Dingen der Hundertschaften waltete. Der
Graf besaß ferner die Polizeigewalt im Gau und war königlicher Finanzbeamter. Festes Gehalt
hatte er nicht. Doch bezog er ein Drittel der Gerichtsfälle und der Bannbußen und die Nutzungen
der Grundstücke, die als Amtsgut mit der Grafschaft verbunden waren (pertinentia comitatus,
fiscus comitialis). Auf seinen Dienstreisen konnte er von den Gauleuten unentgeltliche Be-
herbergung, Beförderung und Spanndienste verlangen. Die königliche Gerichtsgewalt war
ihm nicht in vollem Umfange übertragen; im eigenen Wirkungzkreise besaß er nur einen Bann
von 15 Solidi. Doch wurde ihm schon in fränkischer Zeit für gewisse Fälle (den sächsischen Grafen
allgemein für causae maiores) der Königsbann von 60 Schillingen übertragen, wie denn über-
haupt die gräfliche Gewalt in sichtlicher Zunahme begriffen ist. Ursprünglich konnte der König
den Grafen beliebig einsetzen und absetzen. Unter Ludwig I. und seinen Nachfolgern geschah