92 II. Geschichte und System des deutschen und römischen Rechts.
wie auf die gebotenen Dinge, die Graf oder Zentenar nach Bedarf kraft ihrer Amtsgewalt an-
setzten, und in denen nur causae minores, nicht aber die dem echten Ding vorbehaltenen causae
maiores entschieden werden konnten. Die allgemeine Gerichtspflicht mußte in karolingischer
Zeit, weil sie sich angesichts der eingetretenen Ungleichheit der Besitzverhältnisse für die ärmeren
Freien als zu drückend erwies, auf drei allgemeine Gerichtsversammlungen im Jahre beschränkt
werden; für die gebotenen Dinge wurde sie durch die Bestellung ständiger Urteilfinder, der
Schöffen (scabini), ersetzt.
§ 20. Die Anfänge des Lehnsstaates. Während die Verfassung der älteren merowingischen
Zeit im wesentlichen auf dem Grundsatz der gleichen Unterordnung aller Untertanen unter das
Königtum und damit unter die Staatsgewalt beruhte, machte sich seit der Wende des 7. Jahr-
hunderts eine tiefgreifende Verschiebung geltend, welche einen Teil der Untertanen in ein
näheres Verhältnis zum König brachte, einen anderen der unmittelbaren Einwirkung der öffent-
lichen Gewalt in gewissen Beziehungen entrückte und so eine Auflockerung des allgemeinen
Untertanenverbandes herbeiführte. Verschiedene, zum Teil in die spätrömische Zeit Galliens
zurückreichende Verhältnisse wirkten zusammen, um diese Veränderung in die Wege zu leiten.
Insbesondere kommen dafür das Benefizialwesen, die Vassallität, die Grundherrlichkeit, die
Immunität und die Stellung der Kirche zum Staate in Betracht.
Das Benefizialwesen hatte eine Vorstufe in den Landschenkungen der mero-
wingischen Könige. Unter den Merowingern war es zuerst Sitte, dann politische Notwendig-
keit geworden, die Großen durch Schenkung von Krongütern an das Königtum zu fesseln. Die
merowingische Landschenkung begründete, wenn sie nicht ausdrücklich zu freiem Eigentum er-
folgte, gemäß dem germanischen Schenkungsbegriffe nur ein beschränktes Eigentum des Be-
schenkten; es konnte ohne Zustimmung des Schenkers nicht veräußert werden und fiel unter
gewissen Voraussetzungen, insbesondere wenn der Beschenkte ohne männliche Nachkommen
starb, an den Schenker zurück. Als Karl Martell und seine Söhne sich auf umfassende Ver-
gabungen angewiesen sahen, um sich dadurch die erforderlich gewordene Reiterei zu verschaffen,
reichte das erschöpfte Krongut nicht aus. Die Kirchengüter, die sie zu diesem Zwecke verwendeten,
konnten nach kanonischem Rechte nicht zu Eigentum, sondern nur zu Leiherecht vergabt werden.
Die Vergabungen aus Kirchengut wurden daher unter den rechtlichen Gesichtspunkt des Benefi-
ziums gestellt, der von nun ab auch bei Verleihungen von Krongütern maßgebend wird. Das
Benefizium begründete ein zeitlich beschränktes Nutzungsrecht des Beliehenen, das nach dessen
Tode (Mannfall) nicht auf die Erben überging und (wenn es aus Anlaß eines Dienst= und Treu-
verhältnisses verliehen war) mit dem Tode des Verleihers (Herrenfall) erlosch. Nicht nur der
König bzw. der Hausmeier, sondern auch die Kirche und weltliche Große verliehen Benefizien.
Mit dem Benefizialwesen trat ein anderes, ursprünglich selbständiges Verhältnis in Ver-
bindung, die Vassallität. In merowingischer Zeit hatte der König eine militärisch organi-
sierte Gefolgschaft, die ihm als berittene Leib= und Ehrenwache diente, die Antrustionen. Ge-
folgsleute anderer Personen erscheinen unter dem Namen gasindi, später auch vassi, vassalli.
Die Antrustionen verschwinden vor dem 8. Jahrhundert. An ihre Stelle tritt die viel zahl-
reichere Vassallität, eine jüngere Abschichtung und Fortbildung der Gefolgschaft. Die Vassallität
war ein Schutz= und Dienstverhältnis, das durch einen Treueid und den symbolischen Akt der
Kommendation eingegangen wurde, während andererseits der Herr dem Vassallen irgendeine
Gabe reichte. Der Vassall verpflichtete sich seinem Herrn zu Diensten, die bei freien Leuten
keine Schmälerung der vollen Freiheit herbeiführten. Doch gab es auch unfreie Vassallen. Nicht
nur der König, sondern auch Untertanen konnten Vassallen haben. Die hauptsächliche Bedeutung
des Verhältnisses lag im Kriegsdienst. Der Vassall war dem Herrn dazu verpflichtet, und zwar
zum Reiterdienst, wenn der Herr ihn dazu ausrüstete oder ihm die Mittel zur Selbstausrüstung
gewährte. Die Teilnahme an der Hausgenossenschaft des Herrn, wie sie bei der eigentlichen
Gefolgschaft die Regel bildete, war bei den Vassallen, die nicht am Hofe des Herrn lebten, dahin
beschränkt, daß der abwesende Vassall an den Hof des Herrn kommen mußte, wenn ihn dieser
entbot. Der Unterhalt, den das Haus des Herrn den Gefolgsleuten gewährt hatte, wurde den
Vassallen in der Regel durch Verleihung eines Benefiziums ersetzt, so daß der Vassall in dieser
Beziehung als ein abgeschichteter Gefolgsmann erscheint. Schon die Kirchengüter, die von