Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

10 J. Kohler. 
Beherrschung ganz entzogen sind; sie schließt nicht aus, daß 2. Vermögensmassen zwar zunächst 
der privatrechtlichen Ordnung angehören, in vielen Punkten aber außerhalb des Privatverkehrs- 
wesens stehen. Zur ersteren Gruppe gehört insbesondere Luft und Meer, zur letzteren gehören 
Straßen, öffentliche Gebäude, Festungen und anderes. Daß diese der Privatrechtsordnung nicht 
ganz entzogen sind, ist wichtig; denn 1. sofern der öffentliche Zweck zugleich eine privatrechtliche 
Benutzung zuläßt, steht diese dem Eigentümer zu; 2. der Eigentümer wird Volleigentümer, 
sobald die Belastung des öffentlichen Zwecks aufhört 1. 
Die Ordnung dieser Gegenstände hängt zu sehr mit dem öffentlichen Rechte zusammen, 
als daß sie das BGB. unternommen hätte. Wir müssen die Regelung also in dem Rechte der 
Einzelstaaten suchen, dies auch dann, wenn es sich um Eigentum des Deutschen Reichs handelt, 
das öffentlichen Zwecken gewidmet ist. Nur wenige Bestimmungen der Reichsgesetzgebung 
bieten hier ausnahmsweise Ordnung und Regel . Tadelnswert ist es, daß das Wasserrecht 
der Landesgesetzgebung überlassen ist, obgleich doch die heutige Kulturordnung zu einer ein- 
heitlichen Regelung drängt 3, und die Elektrizität ist behandelt, als ob es keine elektrische Kraft 
gäbe. " 
Noch weniger schließt die Einzelwesenordnung aus, daß Vermögensmassen in bürgerlich- 
rechtlicher Weise größeren oder kleinen Verbänden angehören, die daran einfach nach 
bürgerlichem Rechte befugt sind. Auf solche Weise kann Vermögen öffentlichen Zwecken gewidmet 
werden, ohne daß es der bürgerlichen Ordnung entzogen wird, und die bürgerliche Ordnung 
kann auf diesem Wege ein Mittel sein, um Ziele des öffentlichen Rechts zu verwirklichen. 
Aber auch die Verfügungsfreiheit schließt tiejgreifende Schranken nicht aus; sie schließt 
insbesondere nicht aus: 1. daß die öffentliche Ordnung einer Reihe von Geschäften die Rechts- 
wirksamkeit entzieht; sie schließt nicht aus, daß 2. die öffentliche Ordnung Rechtsfolgen eintreten 
läßt, die den Erwartungen der Partei nicht entsprechen, und sie schließt endlich 3. nicht aus, daß 
die öffentliche Ordnung im einzelnen Fall gewisse Gegenstände der Einzelverfügung entzieht. 
. Die menschliche Gesellschaft ist im neugeschichtlichen Geiste erfaßt: die 
Menschen sind zu Staaten vereinigt, und der Staat ist die höchste und letzte Ordnung, die höchste 
und letzte Instanz, um die Rechtsstellung eines jeden im Kreise seiner Mitmenschen zu bestimmen: 
alle anderen, früher so mächtigen Herrschaftsverbände sind unter die Hoheit des Staates gestellt. 
Die Familie tritt noch als soziale Einrichtung mit einigen wichtigen rechtlichen Folgen hervor, 
aber sie ist keine Einheit mehr, sie ist nicht mehr Trägerin eines Familienvermögens; höchstens 
daß noch in einigen altertümlicheren Einrichtungen, wie Familienfideikommissen und Familien- 
stiftungen, die Erinnerung an die ehemalige Gestaltung der Familie als Sonderpersönlichkeit 
übriggeblieben ist. 
Rechtssubjekt ist natürlich vor allem der einzelne Mensch, und es gilt der große 
neuzeitliche Grundsatz, daß jeder Mensch von dem Momente der vollendeten Geburt an Rechts- 
fähigkeit hat. Dieses Prinzip gilt durchaus, es gibt keine Ausnahme; auch der Mißgeburt steht 
dies Recht zu: ein Funke von Leben genügt, auf daß der Mensch als vollgültiger Erdenbürger 
in den staatlichen Rechtsschutz aufgenommen wird. Ob dies, vom Nützlichkeitsstandpunkte aus 
betrachtet, nicht zu weit geht, ist eine andere Frage. 
Es gibt keine Sklaven mehr und keine Minderfreien. Damit ist die ganze römische Ge- 
sellschaftsordnung, welche ohne Sklaverei nicht verständlich ist, über den Haufen gestürzt; aber 
auch die mittelalterliche Ordnung der Halbfreien und beschränkt Freien ist verbannt: das ganze 
mittelalterliche System der Hörigkeit und Gutsherrschaft, das System, wonach der Einzelne 
Vgl. hierüber die Nachweise bei Biermann, Offentliche Sachen (1905), S. 22, und 
Gierke, Privatrecht II S. 19 f. 
* Wesentlich für den Erwerb des Reichs war in dieser Hinsicht das Gesetz v. 25. Mai 1873, 
wonach das Eigentum von Gegenständen, die dem dienstlichen Gebrauche gewidmet sind, bei der 
Übernahme des Dienstes von einem Bundesstaat an das Reich mit überging (vorbehaltlich einer 
auflösenden Bedingung). 
* Ubrigens hat das Wasserrecht in den Landesgesetzen neuerdings eine vielfache Neu- 
gestaltung erfahren, so Badische Gesetze 1876, 1899, jetzt auch in Preußen durch. Gesetz vom 7. April 
1913, vgl. auch das Preuß. Gesetz über die Mineral- und Thermalquellen vom 14. Mai 1908. 
Zum Ganzen Aström, Das Wasserrecht in Nord- und Mitteleuropa (1905), S. 50 f.
	        
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