Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

Bürgerliches Recht. 137 
D. Familienrecht. 
1. Eherecht. 
§ 92. Das Eherecht ist in neuzeitlicher Weise gestaltet worden, also 1. in streng 
monogamischer Weise; 2. in der Art, daß bei der Eheschließung die volle Freiheit 
der Brautleute gesichert ist; 3. in der Weise, daß die Eheschließung unter staatlicher Auf- 
sicht steht und unter Zuziehung eines staatlichen Beamten vorgenommen wird; und endlich 
4. in der Art, daß sie eine Ehe auf Lebenszeit ist, aber mit der Möglichkeit, unter ganz bestimmten 
Umständen eine Lösung herbeizuführen. Diese Anforderungen waren durch das moderne Kultur- 
bewußtsein gegeben, und das Bürgerliche Gesetzbuch hatte darum nur im einzelnen zu regeln und 
auszugestalten. 
Was die monogamische Seite der Ehe betrifft, so ist festgehalten, daß ein Nebeneinander- 
bestehen zweier gültiger Ehen niemals, auch nicht einmal einen Moment möglich ist.. Selbst im 
Falle der Todeserklärung ist durch die gesetzliche Bestimmung dafür gesorgt, daß eine solche 
Kollision vermieden wird: die Todeserklärung gestattet eine zweite Ehe; durch die zweite Ehe 
aber wird die erste aufgehoben, § 1348. 
2. Die Cheschließung ist frei; daraus geht hervor, 
1. die Verlobung, d. h. der Eintritt in eine Familienbeziehung, um eine Persönlichkeit 
näher kennen zu lernen und sich danach über die Eheschließung schlüssig zu werden, bringt keine 
Verpflichtung zur Eheschließung mit sich; daß unter Umständen eine Schadenersatzpflicht entsteht, 
beruht auf besonderen Gründen. Im übrigen ist die Materie weder in Deutschland (§§ 1297 f.) 
noch in der Schweiz (§§8 90 f.) tadelsfrei geregelt 2. 
2. Es ist dem modernen Sinn selbstverständlich, daß weder der Sohn noch die Tochter 
von Eltern oder Agnaten verheiratet werden darf. Allerdings gilt die negative Bestimmung, 
daß sie unter Umständen trotz ihrer Geschäftsfähigkeit die Zustimmung (Einwilligung) der Eltern 
haben müssen; denn auch ein volljähriges Kind bedarf bis zum 21. Lebensjahr der Einwilligung 
des Vaters (bzw. der unehelichen Mutter) (§ 1305), eine Bestimmung, die aber regelmäßig nur 
dann von Bedeutung ist, wenn ein Kind durch Volljährigkeitserklärung vor dem 21. Jahr voll- 
jährig wird; die Nichtbefolgung dieser Vorschrift aber bewirkt keine Nichtigkeit oder Anfechtbar- 
keit, und außerdem kann das Vormundschaftsgericht die mangelnde Einwilligung ersetzen (§ 1308) . 
Die staatliche Aufsicht über die Ehe ist in der Art durchgeführt, daß es weder eine Privat- 
ehe gibt, wie früher im kanonischen Rechte, noch eine kirchliche Eheschließung, wie im kirchlichen 
Recht nach dem Tridentinum und der constitutio Ne temere“", sondern nur eine Eheschließung 
Wie, wenn ein Ehegatte nach rechtsgültig geschiedener Ehe wieder heiratet und sodann das 
Scheidungsurteil auf dem Wege der Restitutionsklage aufgehoben wird? Die Scheidung und die 
neue Ehe bleibt trotz des Restitutionsurteils bestehen; das neue Urteil kann nur Vermögensfolge 
haben, denn die Scheidung ist mit der Rechtskraft vollzogen, Nhein. 3. 1S 
: Vgl. Glaser, Rechtliche Natur des Verlöbnisses (1904) S. 80 f., wo . boritere Literatur, 
Ullri che Unterfällt das Verlöbnis den allgemeinen Sätzen über Verträge (1912) S. 41f. Über 
die frühere kantonale Gesetzgebung der Schweiz vgl. Zihlmann, Verlöbnisbruch (1902) 
S. 38 f. Im übrigen vgl. OLG. Hamburg 14. Februar 1907 Mugdan XIV S. 243, und über 
§ 1300 vgl. OLG. Karlsruhe 25. November 1910 Bad. Rechtspraxis 78 S. 117, über Rücktritt 
wegen früherer geschlechtlicher Erkrankung OLG. Jena 30. Mai 1911 Seuffert Arch. 66 Nr. 212. 
* Außerdem ist hier der Fall bedeutsam, wenn der Vater ausnahmsweise nicht der gesetz- 
liche Vertreter ist, mithin nicht er, sondern der Vormund zur Ehe des Minderjährigen seine Zu- 
stimmung zu geben hat: er muß nun trotzdem um seine Einwilligung befragt werden, — eine höchst 
verkehrte Bestimmung, wodurch das Kind genötigt ist, sich um die Zustimmung eines vielleicht 
völlig vertierten Menschen zu bemühen, dem man die elterliche Gewalt entzogen hat. Im kanonischen 
Recht hat die Frage der Bedeutung der väterlichen Einwilligung eine lange Geschichte; das Triden- 
tinum verwarf die Ansicht, welche die Einwilligung zu einem Erfordernis der Ehe machte; vgl. 
Köstler, Bäterliche Ehebewilligung (1908) S. 63 f., 155. 
* Vogl. auch Balog, Eheformvorschriften der Dekrete Tametsi und Ne temere (1910), 
Leitner, Verlobungs- und Eheschließungsform nach dem Dekrete Ne temere (1908), Schmöger, 
Form der Ehekonsenserklärung .. nach dem römischen Dekrete Ne temere (1908), Heiner, 
Das neue Verlöbnis= und Eheschließungsrecht der katholischen Kirche (1908), Knecht, Die neuen 
 
	        
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