140 J. Kohler.
Adel oder über die eheliche oder uneheliche Abstammung der Person nicht in Betracht kommen,
denn es widerspricht der verständigen Würdigung der Ehe, andere als individuelle Eigenschaften
des Verlobten entscheiden zu lassen; man heiratet die Person und nicht ihre Familie. Aber auch
ein Irrtum über Staatsangehörigkeit oder Konfession kommt nicht in Betracht, ein Irrtum über
die Rasse nur, wenn es sich um eine minderwertige Rasse handelt (Negerblut), nicht aber ein
Irrtum über indogermanische oder semitische Abkunft; in Betracht kommt dagegen ein Irrtum,
ob eine Person ledig, verheiratet, geschieden oder der Ehegatte eines Verschollenen ist 1. Auch
bei Betrug ist nicht jede durch Täuschung herbeigeführte Irrung bedeutsam, sondern nur eine
solche, welche Umstände betrifft, die bei verständiger Würdigung des Wesens der Ehe von der
Ehe abgehalten hätten. Hier können Umstände in Betracht kommen, die nicht persönliche Eigen-
schaften betreffen, z. B. wenn man dem Bräutigam vorspiegelt, die Ehe sei ein dringender
Wunsch seines Vaters gewesen, oder wenn der Bräutigam behauptet, der Familie einen großen
Dienst geleistet zu haben. Frrtum über Vermögensverhältnisse, auch wenn auf arglistiger
Täuschung beruhend, kommt nicht in Betracht; denn die Rechtsordnung würde das Institut
der Ehe entwürdigen, wollte sie den Vermögensberechnungen irgendwelchen Einfluß auf die
Gültigkeit der Ehe zuschreiben; allerdings kann, wenn der Verlobte bei einer solchen Arglist
beteiligt war, dies als eine so niedrige Gesinnung betrachtet werden, daß ihre Kenntnis den
andern Teil bei verständiger Würdigung der Sachlage von der Ehe zurückgehalten hätte; dann
liegt aber der Anfechtungsgrund in der ethischen Gesinnung: er wäre auch gegeben, wenn etwa
durch nachträgliche Umstände die Vermögensverhältnisse sich gebessert hätten. Ein anderer
Grund der Anfechtung besteht darin, daß ein Geschäftsbeschränkter eine Ehe ohne Zustimmung
des gesetzlichen Vertreters einging. Sollte übrigens auch hier keine Anfechtung stattfinden,
so hätte dies doch Einfluß auf das Gütewerhältnis; denn wenn die Verlobte geschäftsbeschränkt
war und ohne gesetzliche Zustimmung heiratete, so erlangt der Ehemannenicht die üblichen
Rechte an ihrem Vermögen, und es tritt Gütertrennung ein (§ 1346 BG.).
Die Anfechtung muß innerhalb sechs Monaten, und zwar durch gerichtliche Klage geltend
gemacht werden, dies wenigstens, sofern der andere Ehegatte noch lebt; ist der andere Ehe-
gatte gestorben, so geschieht die Anfechtung durch Erklärung gegenüber dem Nachlaßgericht.
Ist die Ehe in anderer Weise gelöst, dann ist eine Anfechtung nicht mehr möglich, so namentlich
nicht, wenn der anfechtungsberechtigte Ehegatte stirbt: seinen Erben steht die Anfechtung nicht
zu, §§ 1338, 1339, 1341, 1342 BGB. Die Anfechtungsbefugnis erlischt durch Bestätigung der
Ehe, § 13372.
§J 94. Die Stellungder Ehegatten ist in vielen, nicht in allen Punkten den neu-
zeitlichen Gedanken gemäß geregelts. Unser Recht hat die Mundgewalt des Mannes, welche zu
einer Geschäftsbeschränkung der Ehefrau geführt hatte, ausgehoben: die Frau ist vollkommen
geschäftsfähig und bleibt es trotz der Ehe. Auf der anderen Seite hat man eine Gleichstellung
beider Teile nicht für angezeigt erachtet, der Erwägung entsprechend, daß sonst, sobald unter
den Ehegatten keine Einhelligkeit erzielt wird, dritte Mächte herangezogen werden müßten,
um die Differenz zu begütigen. Vielmehr geht man davon aus, daß der Ehemann noch ein über-
Vgl. Rietschel, Arch. f. ziv. Praxis 104 S. 362, Seidlmeyer, Jahrb. f. Dogm.
46 S. 217. Über Virginität der Braut vgl. OLG. Kolmar 19. Oktober 1909 Z. Elf.-Lothr. 35
S. 423 (nach Bildung und Gesellschaftskreis als Anfechtungsgrund anzuerkennen).
* Eine Bestätigung liegt in der vorbehaltlosen Fortsetzung der Ehe nach (genügender) Er-
kundung des Sachverhalts. Ein besonderes Bewußtsein des Anfechtungsrechts ist nicht nötig, es
genügt das Bewußtsein der Unzukömmlichkeit, welche zur Anfechtung Anlaß gibt; vgl. RG.
12. November 1908 Entsch. 69 S. 410.
* Agl. meine Erklärung in Paungarten, Eheproblem im Spiegel unserer Zeit (1913)
S. 54. Das Christentum wurde hier wesentlich von dem Paulinismus beherrscht, wonach
die Frau dem Mann untertan sein soll, Coloss. 3,18, I. Corinth. 11,3, Eph. V 22 f.: die subjectio
soll aber nicht eine subjectio servilis sein, sondern eine subjectio oeconomica vel civilis secundum
duam praesidens utitur subjectis ad eorum utilitatem et bonum, so Thomas von Aquin,
Summal qu. 92 a. 1. Hier waren es nicht die Reformatoren, sondern die Puritaner und Baptisten,
welche nach Gleichstellung der Frauen drängten und ihre Stellung hoben. Ubrigens sagt auch
Leo XIII. in der Encvcl. Arcanum (1880): pareat viro in moremm on ancillae sed socige.
Vgl. auch Bartsch, Rechtsstellung der Frau (1903) S. 44 f., 58.