Bürgerliches Recht. 143
Namentlich kann auch der Fall der schuldhaften geschlechtlichen Ansteckung als schwere Un-
bill in Betracht kommen, auch dann, wenn solche auf sonstige Laster, nicht auf Ehebruch, zurück-
zuführen ist. So ist der § 1568 BG#B derjenige, der in der Zukunft unsere Lehre beherrschen wird 1.
Die Lösung durch beiderseitige Einwilligung hat also das BG#B. nicht angenommen. Doch
hat man dafür einen Ersatz im sog. böslichen Verlassen: wenn sich der eine Ehegatte vom am eren
treunnt und, nachdem eine Klage auf Fortsetzung der Ehe erfolglos gewesen ist, ein ganzes Jahr
ausbleibt, so kann nach § 1567 die Ehe gelöst werden. Allerdings spricht das Gesetz vom böslichen
Verlassen, von Fernbleiben in böslicher Absicht, allein dies kann in der Weise gedeutet werden,
daß ein Fernbleiben mit einer auf Lösung der Ehe gerichteten Absicht genügt 2.
Was aber die Geisteskrankheit betrifft, so hat das BGB. den obigen Erwägungen teilweise
entsprochen. Es verlangt (ähnlich dem badischen Recht) eine mindestens dreijährige, als unheilbar
erklärte Geisteskrankheit, die eine solche Gestaltung angenommen hat, daß eine geistige Gemein=
schaft unter den Ehegatten nicht mehr möglich ist 2. Die Frist von drei Jahren aber ist über-
flüssig oder doch zu lange. Jedenfalls muß es genügen, wenn die drei Jahre während des Ehe-
scheidungsprozesses ablaufen.
Uber die Verjährung vgl. § 1571 4.
§ 96. Über die Folgen der Scheidung für den Namen siehe § 1577, für das Vermögen
Ss 1578 f., für die Kinder §§ 1635, 1636 6.
§ 97. Neben der Ehescheidung gibt das BG., ähnlich wie der Code Napoléon, im Interesse
der Katholiken eine Trennung von Tisch und Bett (séparation de corps), welche man als Auf-
hebung der ehelichen Gemeinschaft bezeichnet hat. Hier bleibt die Ehe be-
stehen, aber die Pflicht des gemeinschaftlichen Lebens hört auf — eine Halbheit, welche nach
zwei Richtungen hin einem Definitivum Raum geben kann: entweder treten die Ehegatten wieder
in das gemeinschaftliche Leben ein, dann beginnt wieder die normale Ehe; oder ein Ehegatte
beantragt die Umwandlung des Halbsystems in die Ehescheidung, 88 1575, 1576, 1586, 1587
B. Eine Ansicht, welche annimmt, es handle sich hier um eine wirkliche Ehescheidung,
nur mit bestehendem Eheverbot, widerspricht den Zwecken des Instituts und seiner Geschichte.
Die Katholiken hätten Steine statt Brot erhalten 6.
2. Ehegüterrecht.
§ 98. Auch die indogermanischen Stämme machten die Entwicklung durch, daß alles
Vermögen, auch das der Frau, in das Familienvermögen und dadurch mehr oder minder in
die Verfügung des Ehemannes gelangte. Eine spätere Bildung führte zu demjenigen, was man
eheliche Gütergemeinschaft heißt. Sie ist namentlich bei den Kelten in Ubung
1 Vgl. darüber Heß, Insidien und Sävitien als Ehescheidungsgrund (1912) S. 71 f., Muser,
Ehescheidungsgründe (1913) S. 67 f., OLG. Dresden 4. Mai 1906 Mugdan XIV S. 239.
* Es haben daher die Gerichte wenig Verständnis für die Notwendigkeit dieser Rechtsent-
wickelung gezeigt, wenn sie den § 1367 nach der Richtung deuten wollten, daß er nicht zu einer
Scheidung nach gemeinsamer Absicht führen dürfe. Man hat beispielsweise angenommen, daß,
wenn der eine Ehegatte (dem inneren Wunsch des anderen entsprechend) fern blieb, dies nicht ein
Ausbleiben im Sinne des §& 1367 sei u. a. Näheres darüber im III. Bande meines Lehrbuchs. Vgl.
auch RG. 27. Oktober 1910 Warneyer Ergänzung 1911 S. 47 und die hier zitierten Entscheidungen.
Über das Geschichtliche vgl. Grego im Archivio giurid. 51 p. 11 f.
* Vxgl. OLG. Köln 23. März 1901 Mugdan II S. 326. Doch wird vollkommene Verblödung
nicht verlangt; es sollen solche Wahnvorstellungen genügen, welche ein Zusammenleben ausschließen.
RG. 16. Februar 1911 Warneyer Ergänzung 1911 S. 280. Aber es kommt hier immerhin in Betracht,
ob nicht der andere Ehegatte durch sein Zusammenleben die Lage des Kranken verbessern oder er-
träglicher gestalten kann.
* Die Verläfrung beginnt mit der (vollen) Kenntnis der Tatsache, nicht etwa erst mit dem Moment,
in welchem man sie als ehezerrüttend empfindet, RG. 11. Oktober 1909 Seuffert Arch. 65 Nr. 247.
6 Diese Bestimmungen lassen zu wünschen übrig, namentlich ist die Frau viel zu ungünstig
behandelt. Daß eine Vereinbarung über die Kindererziehung rechtlich nicht bindend ist, sagt zu-
treffend RG. 13. März 1905 Entsch. 60 S. 266. So auch Kiel 22. Februar 1902 Seuffert 58
Nr. 215, Bamberg 26. August 1903 Seuffert 59 Nr. 38.
*Vagl. auch Rauch, Separatio perpetua und Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft (1908),
S. 20 f., Frank, Arch. f. ziv. Praxis 98 S. 441.