Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

180 J. Kohler. 
besagen, wenn man seine Freiheit verkauft! Während das BGB. es nicht zuläßt, das künftige 
Vermögen zum Gegenstand der Schenkung zu machen, so gestattet es, das künftige Vermögen 
für einen Dritten durch Erbvertrag festzulegen! Unser Gesetz, aber auch leider das Schweizer 
Recht, stehen hier weit unter dem Code civil, welcher den Erbvertrag nur in Ausnahmefällen ge- 
stattet: beide Gesetzbücher sind hierin unmodern, sie sind die Sklaven der Vergangenheit !., sie 
stehen selbst unter dem österreichischen Gesetzbuch, welches Erbverträge über das Vermögen 
oder einen Vermögensbruchteil nur in Eheverträgen zuläßt, § 602, und dem Ehegatten auch 
hier ¼ als Freiverfügungsteil unverbrüchlich vorbehält, § 1253. Wie konnte man hundert 
Jahre nach dem Code Napoléon noch solche Gesetze machen! Besser Ungarn Entw. 7 1761. 
Nicht zufrieden damit, hat man den Erbvertrag noch erweitert: er kann Verfügungen 
zugunsten des Vertragsgenossen, aber auch Verfügungen zugunsten eines Dritten enthalten; 
die Verfügungen können Erbeinsetzungen, Vermächtnisse, Auflagen sein, sie können beiderseits 
erfolgen, in welchem Falle Korrespektivität eintritt (§ 2298). Sind allerdings die Verfügungen 
zugunsten eines Dritten, so können die Vertragsgenossen den Erbvertrag durch Gegenerbvertrag 
aufheben; sie können es auch, sofern es sich um Vermächtnisse oder Auflagen handelt, durch ein 
von dem Erblasser errichtetes, vom Vertragsgegner konsentiertes Testament, § 2290, 2291. 
Die Zustimmung des Bedachten zur Auphebung ist nicht erforderlich; es müßte denn der Erb- 
lasser auch einen Erbvertrag mit ihm abgeschlossen haben: ein bloßes Hinzutreten, eine Akzep- 
tation des Dritten ist bedeutungslos 2. 
Im übrigen gilt folgendes. Der Erbvertrag kann wie eine testamentarische Verfügung 
wegen mangelnder Voraussetzung unwirksam sein, § 22798; er kann wegen Irrtums angefochten 
werden. Irrtum bei Vertragsschluß ist es auch, wenn der Erblasser später Abkömmlinge 
bekommt, an die er zur Zeit des Erbvertrages nicht denken konnte; darum kann er späterhin 
innerhalb eines Jahres den Erbvertrag anfechten, vorausgesetzt daß einer dieser Abkömmlinge 
zur Zeit der Anfechtung noch lebt; die Anfechtung geschieht durch Erklärung an den Vertrags- 
genossen und, ist dieser gestorben, durch Erklärung an das Nachlaßgericht (§§J 2281—2283, 2079 
BGB.). Also mit einem Kinde kann sich der Gebundene frei machen! 
Übrigens können auch (widerrufliche) letztwillige Verfügungen in den Erbvertrag auf- 
genommen werden, z. B. Bezeichnung eines Vormundes, Befreiung eines Vormundes, Er- 
nennung eines Beistandes, eines Testamentsvollstreckers, Bestimmung, daß das einer Ehefrau 
zugewandte Gut Vorbehaltsgut sein soll, 88 1369, 1777, 1856, 2197, 1687, 2278; dies sind letzt- 
willige „Geleitverfügungen“ (§ 2299 BGB.). 
§ 131. Nicht so weit wie der Erbvertrag geht das gemeinschaftliche Testament. Auch dieses 
widerstrebte dem römischen Rechte und widerstrebt unserer modernen Freiheitsauffassung. 
Der Code Napoléon verbietet es, a. 968, schon die französische Ordonn von 1735 a. 77 erklärte 
es für nul et de nul efket. Wir kennen es allerdings nur unter Ehegatten, gewöhnlich in der 
Art, daß beide Ehegatten einander für den Fall des Uberlebens zum Erben einsetzen und sodann 
einen Erben aufstellen für den UÜberlebenden. Das letztere hat man ehedem in Preußen so 
aufgefaßt, daß der Überlebende Vorerbe und der eingesetzte Erbe Nacherbe sein soll; dies soll 
nicht mehr die Regel sein, sondern der Überlebende soll schlechtweg Erbe des Verstorbenen und 
  
1 Allerdings hat der Erbvertrag eine germanische Erinnerung für sich. Jahrhundertelang 
schleppte sich sogar die Meinung fort, daß, wenn der Erblasser im Testament seinen letzten Willen 
als unabänderlich erklärte, ihn dies binde und an der Anderung des Testaments hindere; vgl. meine 
Abhandlung Arch. f. bürgerl. Recht XXI S. 245 f.; in den italienischen Statuten mußte ausdrücklich 
gesagt werden, daß eine solche Klausel unwirksam sei; so Friaul! V 35: si in ipso testamento 
apposuerit... aliqua verba derogatoria. vel fecerit aliud testamentum seu codicillos 
qdui transiverint ad formam alicujus contractus, talis testator possit libere suo arbitrio ac volun- 
tate facere aliud testamentuim ... Neuerdings behandelt man ein gemeinschaftliches Testament 
mit dem Geding, daß kein Teil es einseitig ändern könne, als Erbvertrag; so RG. 14. Dezember 
1911 Z. f. Rechtspfl. in Bayern VIII S. 1331!! Vgl. auch RG. 26. Januar 1911 Recht XV 1157. 
* Anders die Rechte älterer Denkungsweise, wie preuß. LR. 1 12 § 646; vgl. auch die Wolfen- 
bütteler Entscheidungen von 1849, 1850 Seuffert Arch. XI S. 133; hierüber auch Schiffner 
im Jahrb. f. Dogm. 40 S. 104. 
* Val. dazu Kammergericht Berlin 8. Februar 1909 Entsch. freiw. Gerichtsb. X S. 111. 
' Anders das Schweizer G. * 516, welches hier nur eine Pflichtteilsklage gibt.
	        
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