Verhältnis des Reichsprivatrechts zum Landesprivatrecht. 201
gleichsam um tatsächliches Privatrecht ohne Rüchicht auf die begriffliche Zugehörigkeit.
Soweit die Vorschriften des BG. gehen, ist die Zuständigkeit der Landes-
gesetzgebung selbst für ergänzende Normen! ausgeschlossen, nur für ergänzende Ver-
fahrensvorschriften gibt der § 200 FGG. Raum (s. 8 2).
Trotz dieser praktischen Erleichterungen bleibt die Notwendigkeit einer Begriffs-
bestimmung bestehen. Die bisherigen Versuche weisen dem öffentlichen Recht die Normen
zu, bei denen vorzugsweise und an erster Stelle das Staatswesen und das allgemeine Interesse
in Betracht kommen. Dagegen gehören dem bürgerlichen Recht begrifflich die Normen
an, welche vorzugsweise und an erster Stelle die den Personen als Privatpersonen zukommende
rechtliche Stellung und die Verhältnisse, in denen die Personen als Privatpersonen zueinander
stehen, also die Privatinteressen, zu regeln bestimmt sind (Mot. z. BG. Bd. 1 S. 1).
Privatrecht ist somit nicht identisch mit Vermögensrecht, wie schon der Hinweis auf
das Zoll= und Steuerrecht ergibt. Es umfaßt andrerseits, darüber hinausgreifend, die Familien-
stellung der Person und ihre Rechtsstellung in der Gesellschaft. Keineswegs ist die Beteiligung
des Staates ein sicherer Maßstab dafür, daß ein öffentlich-rechtliches Verhältmis vorliegt z. B.
bei Pachtverträgen des Staates, Gehaltsansprüchen gegen den Staat. Ebensowenig ist die
Art der prozessualen Geltendmachung ein ausschlaggebendes Moment, wenn auch in der Regel
die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vor die ordentlichen Gerichte gehören 2. Hiernach ist mit
dem obigen Gesichtspunkt kein festes Kriterium gewonnen, vielmehr muß im einzelnen Falle,
geleitet von dem erwähnten Prinzip, die Entscheidung nach geschichtlichen Tatsachen mit Rücksicht
auf die Entwicklung der Verfassung des Einzelstaates erfolgen. Somit kann dieselbe Frage für
die einzelnen Bundesstaaten auch verschieden beantwortet werden.
II. Für die Zweifelsfrage, ob ein Rechtsverhältnis dem öffentlichen oder privaten Rechte
angehört, wird dort, wo das Reich im BGB. oder im E. (s. oben zu D ausdrücklich die
Kompetenz geregelt hat, dieser Ausspruch allein maßgebend sein. Dieser Regelung darf nicht
etwa ein Landesgesetz mit der Erklärung entgegentreten, das Reichsrecht habe die Grenzlinie
falsch gezogen und ein dem öffentlichen Rechte angehörendes Institut zu Unrecht in seinen
Machtbereich gezogen.
Hat aber das Reich keine Grenzregelung vorgenommen, so ist für die Vorbehalts-
gebiete die Frage, ob eine Vorschrift öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Natur
sei, nach Landesrecht zu beantworten. Die gleiche Kompetenz steht auch für die Gebiete, die
nicht vorbehalten sind, der Landesgesetzgebung zu?; nur hat der Richter stets zu prüfen, ob
das Landesgesetz in den Grenzen seiner Kompentenz geblieben ist. Hierbei wird selbst die
Tatsache, daß eine Bestimmung in einem sogenannten Verfassungsgesetz steht, nicht immer von
ausschlaggebender Bedeutung für ihren materiell öffentlich-rechtlichen Charakter sein.
III. Es gibt Normen, die zugleich öffentliche und privatrechtliche sind. Bei ihnen kann
es vorkommen, daß sie als privatrechtliche außer Kraft treten, in Wirksamkeit aber bleiben als
öffentlich-rechtliche. Dies ist namentlich für Preußen wichtig. Das preuß. A. hat (Art. 89
Nr. 1) die Aufhebung der Vorschriften des ALR. nur ausgesprochen, „soweit sie sich nicht auf
öffentliches Recht beziehen“.
IV. Das öffentliche Recht setzt vielfach Begriffe des Privatrechts voraus und bedarf der
Ergänzung aus diesem, wenn es z. B. von Geschäftsfähigkeit, Wohnsitz, Voll-, Minderjährig-
keit, Verjährung spricht. Beim öffentlichen Rechte des Reichs ergibt sich die Ergänzung aus
dem Reichsprivatrechte als notwendig, wenngleich eine ausdrückliche Bestimmung hierüber
fehlt. Bei dem öffentlichen Rechte der einzelnen Bundesstaaten wird man eine ähnliche Er-
gänzung treffen dürfen, aber die Entscheidung ist Sache des partikulären öffentlichen Rechts,
wie die Motive (EG. S. 64) heworheben “.
Anderer Meinung Niedner Art. 55 Anm. II I1.
* VBgl. Ger Verf Ges. 3 13. Nicht selten ist über öffentlich-rechtliche Ansprüche von den ordent-
lichen Zivilgerichten, z. B. über die Rückforderung von Stempelabgaben nach preuß. Recht, und
über bürgerliches Recht, z. B. die religiöse Kindererziehung nach bayer. Recht, von den Verwaltungs-
gerichten zu entscheiben.
* Mit Unrecht — gegen die herrschende Meinung — bestritten von Endemann I816 Anm.3.
* Abstand ist deshalb insbesondere davon genommen, die Vorschriften des BGB. über
VBVerjährung von Schuldverhältnissen auf die Schuldverhältnisse für anwendbar zu erklären,