Verhältnis des Reichsprivatrechts zum Landesprivatrecht. 207
Verkündung mittels eines Gesetzblattes. Der Beginn der verbindlichen RKraft eines Ge-
setzes wird gleichfalls regelmäßig an den Ablauf einer Frist nach dem Tage der Ausgabe der
betreffenden Nummer des Gesetzblattes geknüpft 1. — Für Gesetze, die nicht von allgemeiner
Bedeutung für das ganze Land sind, sondern sich, wie Provinzialgesetze oder Stadtrechte:,
auf einzelne Landesteile beschränken, genügt nach dem Staatsrecht der Einzelstaaten häufig
auch die Verkündung durch andere Blätter als das Gesetzblatt, z. B. durch die Amtsblätter in
Preußen, und es gilt ein kürzerer Anfangstermin für die Gültigkeit.
2. Als herrschender Grundsatz muß ferner das richterliche Prüfungsrecht
Hinsichtlich der Gültigkeit eines Gesetzes angenommen werden. Nicht nur die äußere Form
(Aufnahme in die Gesetzessammlung, Unterschrift des Landesherrn, Gegenzeichnung des
Ministers), sondern auch die sonstigen Bedingungen der Gültigkeit (geordnete verfassungs-
mäßige Zustimmung der Landesvertretung, Innehaltung der Schranken einer Notverordnung)
hat der Richter für die Regel zu prüfen. Dieser Grundsatz gilt freilich dort nicht, wo die Ver-
fassung der Einzelstaaten Ausnahmevorschriften, wie in Preußen (Art. 106), Oldenburg (§5 141),
Waldeck (§ 94), kennt. Aber auch für diese Staaten unterliegt die Frage, ob eine Landesnorm
mit Reichsgesetzen in Widerspruch stehe, der richterlichen Prüfung, da jene Ver-
fassungsbestimmungen gegenüber dem Reichsrecht nicht aufkommen können.
3. Für die Auslegung der Landesgesetze können sich, abgesehen von den allgemeinen,
durch die Wissenschaft entwickelten Prinzipien 3, doch noch Besonderheiten ergeben, die mit der
geschichtlichen Entwicklung des Privatrechts in den Bundesstaaten zusammenhängen. Schwierig-
keiten wird namentlich der Sprachgebrauch insofern machen, als die Ausdrucksweise in
den Gesetzen vor dem 1. Januar 1900 selbstverständlich mit dem Sprachgebrauch des BG.
nicht identisch sein kann, während häufig bei verschiedenem Ausdruck die Begriffe gleichartige
sein können. Was den Sprachgebrauch der Ausführungsgesetze betrifft, so darf mit Befriedigung
betont werden, daß er überwiegend dem des BG. und des Cl., die ja auch für die äußere
Einteilung des Gesetzstoffes fast überall vorbildlich waren, sich anschließt. Die Auslegungsgrund-
sätze für den Sprachgebrauch des Reichsrechts (vgl. Planck 4. Aufl. Bd. 1 S. XILV ff.) können
daher auch für die AG. zur Verwertung gelangen. Wo die AG. einen Kunstausdruck anwenden,
ist zu vermuten, daß er in der vom BGB. geprägten Bedeutung gebraucht ist. Die Anpassung
an die Sprache und Ausdrucksweise des BGB. ist natürlich in den einzelnen Gesetzen eine
ungleichmäßige und mitunter finden sich auch Abweichungen von dem Sprachgebrauch des
Musters.
II. Privilegien.
Privilegien nennt man im Gegensatz zu den allgemein geltenden gesetzlichen Rechts-
normen staatliche Hoheitsakte, durch welche einer Klasse von Personen (priv. personae) oder
von Rechtsverhältnissen (priv. rei und causae) oder einzelnen bestimmten Personen oder Rechts-
verhältnissen Ausnahmerechte gewährt werden. Das BGB. hat über Privilegien keine Be-
stimmungen. Gleichheit des Rechts ist sein Prinzip. Auch ist auf den von seiner Kodifikation
ergriffenen Rechtsgebieten für landesrechtliche Privilegien kein Raum, es müßte denn aus-
drücklich eine reichsgesetzliche Ermächtigung hierzu erteilt sein (Mot. BGB. I S. 19). Die Be-
deutung der Privilegien auch auf den Vorbehaltsgebieten ist in der Gegenwart, welcher die
Gleichheit vor dem Gesetz als Grundprinzip der modernen Rechtsordnung gilt, nur noch eine
eingeschränkte. Die Bedingungen für die Entstehung von Privilegien, insbesondere die
Frage, wer zu ihrer Erteilung befugt ist, regelt, da dies Ausfluß des öffentlichen Rechts ist,
die Landesgesetzgebung; sie bestimmt, ob die Verleihung durch einen Akt der Gesetzgebung
1 Der Anfangstermin ist jetzt meist der vierzehnte Tag nach der Ausgabe, z. B. in Baden
laut Art. 1 AG., in Preußen laut Ges. vom 16. Febr. 1874; in Braunschweig ist es der achte Tag
laut Verordnung vom 5. Jan. 1814. Über die K enntnispfli t publizierter Gesetze gilt
fr das Landesrecht nichts Abweichendes von den Grundsätzen des Reichsrechts (Dernburg
11255.
2 Sugi sind z. B. heute noch gültig die Stadtrechte von Braunschweig, von Wolfen-
büttel, von Rostock usw.
*: Zur Auslegung der Gesetze vgl. K ohler in Grünhuts Zeitschrift Bd. 13 Nr. 1. —
Über die Bedeutung der Materialien fus die Auslegung gilt für das Landesrecht nichts Abweichendes.