Internationales Privat-, Straf= und Verwaltungsrecht usw. 243
Retorsion. Doch kann von Retorsion nur die Rede sein, wenn Angehörige unseres Landes
oder Fremde als solche in dem auswärtigen Staate eine nachteilige Behandlung erfahren, nicht,
wenn eine unserer Ansicht nach fehlerhafte oder unbillige Rechtsnorm in dem auswärtigen
Staate in derselben Weise gegen Angehörige dieses Staates wie gegen Ausländer angewendet
wird. Retorsion kann nur durch die Gesetzgebung angeordnet werden, sofern nicht die
Gesetzgebung den Gerichten oder anderen Behörden dazu eine besondere Ermächtigung erteilt.
Art. 31 des EG. z. BGB. bestimmt dementsprechend: „Unter Zustimmung des Bundesrats
kann durch Anordnung des Reichskanzlers bestimmt werden, daß gegen einen ausländischen
Staat sowie dessen Angehörige und ihre Rechtsnachfolger ein Vergeltungsrecht zur Anwendung
gebracht wird.“ (Vgl. auch K O. § 5.) Der Grundsatz der (vom Richter zu beurteilenden) Rezi-
prozität ist angewendet bei der Anerkennung und Vollstreckung auswärtiger richterlicher Ur-
teile (.3 PO. 328, Nr. 5, 723). Die Frage, ob im Auslande Gegenseitigkeit Leobachtet werde
(„verbürgt“ sei, ZPO. 328, 5), gibt oft zu Zweifeln und Streitigkeiten Anlaß.
Es würde unrichtig sein und zu Rückschritten in der Kultur führen, wollte man der Regel
nach die Anwedung der an sich für richtig befundenen Grundsätze des internationalen Privat-
rochts von der Beobachtung der Reziprozität in anderen Staaten abhängen lassen.
*i 15. Die Regel: Locus regit actum. Diese Regel bedeutet, daß für die
Form eines Rechtsaktes die Beobachtung des am Orte der Vornahme des Rechtsaktes gelten-
den Gesetzes genügen soll. Dies entspricht nicht, wie man früher wohl angenommen hat, der
Rechtskonsequenz. Der Konsequenz des Rechts würde entsprechen, die Form des Rechts-
geschäftes nach demselben Rechte zu beurteilen, nach welchem das Rechtsverhältnis auch materiell
zu beurteilen ist. (So auch ausdrücklich EG. BGB. Art. 11 Abs. 1.) Die Römer haben bei-
spielsweise gerade die Formen des sogenannten lus eivile nie auf Peregrinen angewendet,
nie angenommen, daß ein im Auslande weilender Römer nach dortigen Formen sein Testa-
ment errichten könne. Die Regel beruht vielmehr auf einem die Rechtskonsequenz durch-
brechenden, übrigens auch im englisch-nordamerikanischen Rechte geltenden Gewohnheitsrechte
und ist erst seit dem späteren Mittelalter nachweisbar und ihrem Ursprung nach auf den ge-
richtlichen Abschluß von Rechtsgeschäften zurückzuführen. Die im Mittelalter vorherrschende
Form für wichtigere Rechtsgeschäfte war die Vornahme derselben vor Gericht: das Gericht aber
beobachtete seine Gesetze, die für den Gerichtsbezirk geltenden Formen, und zwar um so mehr,
als nicht selten Rechtsgeschäfte in die Form eines Scheinprozesses eingekleidet wurden. Der
gerichtlichen Form aber vindizierte man allgemeine Gültigkeit: „Acta facta coram uno iudice
lidem faciunt apud alium.“
Schon diesem Ursprunge nach ergibt sich, daß man in unserer Regel nur eine den Rechts-
verkehr erleichternde zu erblicken, daß man ihr daher auch einen nur fakultativen und
nicht einen imperativen Charakter beizulegen hat, und dies ist auch überwiegend die
Meinung der Schriftsteller, und nicht selten in den Gesetzbüchern, sofern sie sich überhaupt
darüber auslassen, und so im italienischen Gesetzbuche, ebenso aber auch im EG. BG. Art. 11
Abs. 1 ausgesprochen. Freilich wird in der Regel bei Nichtbeachtung der Lex loci actus zur
Gültigkeit des fraglichen Rechtsgeschäfts vorausgesetzt werden müssen, entweder daß dasselbe
ein einseitiges ist, z. B. ein holographes Testament, welches ein Franzose im Auslande er-
richtet, oder daß die beteiligten Personen demselben Staate angehören; denn ohne diese Vor-
aussetzung würde entweder schon die Absicht, sich bindend zu verpflichten, leicht zweifelhaft sein,
oder man würde z. B. bei Verschiedenheit der nach den heimatlichen Gesetzen der Kontrahenten
geforderten Formen zu dem unbilligen Resultat kommen, den einen, nicht aber den anderen
Kontrahenten für gebunden zu erklären.
Es gibt aber auch Ausnahmen von der Regel, welche demnach die Rechtskonsequenz
wiederherstellen. So hat dieselbe unbestrittenermaßen nie gegolten für die Formen des Er-
werbs und des Verlustes dringlicher Rechte an Immobilien und gilt der richtigen Ansicht nach
auch nicht in dieser Beziehung für bewegliche Sachen (wie dies auch ausdrücklich erklärt ist
im Abs. 2 des Art. 11 des EGG. BGB.), während sie allerdings gegolten hat und gilt der richtigen
Ansicht nach für letztwillige Verfügungen und Erbverträge, insoweit die erbrechtliche Ver-
fügung nicht als Verfügung über die einzelnen Sachen, sondern als Verfügung über die Ge-
samtheit des Nachlasses betrachtet wird (uvgl. unten das Erbrecht). Ebenso kommt es vor, daß
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