Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

Internationales Privat-, Straf-- und Verwaltungsrecht usw. 259 
haupten, daß A die vermögensrechtliche Person seines Erblassers repräsentiere, wenn er zwar 
die in dem Staate X belegenen Nachlaßstücke, nicht aber die in dem Staate 7# belegenen erbt, 
falls die Lex rei sitae in dem ersteren, nicht aber in dem letzteren Staate ihn zur Erbfolge be- 
ruft. Wenn man daher vom Standpunkte der Universalsukzession aus die Regelung des Erb- 
rechts nach der Lex rei sitae der einzelnen Nachlaßgegenstände (die z. B. auch, was die Haftung 
für die Schulden betrifft, zu unlösbaren Schwierigkeiten führen muß) zu verwerfen hat, so 
bleibt kaum ein anderes übrig als die Anwendung des heimatlichen Gesetzes des Erblassers; 
denn die Anwendung des Rechtes desjenigen Ortes, an welchem der Erblasser starb — des 
einzigen Rechtes, welches neben dem heimatlichen Rechte des Erblassers eine einheitliche Be- 
handlung des Nachlasses unter allen Umständen gewährleisten würde —, wäre deshalb absurd, 
weil sie das Erbrecht und damit das Schicksal der Familie in materieller Hinsicht von einem ganz 
zufälligen, möglicherweise selbst durch Willkür Dritter zu beeinflussenden Umstande abhängig 
machen würde. Dazu kommt aber noch die Erwägung, daß Erbrecht und Familienrecht in 
den mannigfachsten Beziehungen voneinander abhängig sind, das eine gewissermaßen eine 
Ergänzung des anderen ist. (Abzuweisen ist dagegen die Zurückführung der Zntestaterbfolge, 
welche gegenüber der testamentarischen Erbfolge als das Primäre erscheint, auf den präsum- 
tiven Willen des Erblassers.) 
Die Zdee der Universalsukzession ist vollständig durchgeführt im römischen Rechte. Da- 
gegen ist dies nicht der Fall in dem älteren deutschen Rechte und vollständig selbst nicht in 
dem heutigen englisch-nordamerikanischen Rechte. Daraus erklärt sich einerseits der Gang 
der historischen Entwicklung und anderseits die Differenz der Ansichten in den verschiedenen 
Ländern. Die überwiegende Ansicht des Mittelalters war, daß das Erbrecht ein sogenanntes 
Realstatut sei, allerdings mit der Modifikation, daß vermöge der bereits oben erwähnten 
Regel: „Mobilia personam sequuntur“ fingiert wurde, die Mobilien hätten sich sämtlich am 
letzten Wohnorte des Testators befunden, — eine Modifikation, welche sich einerseits aus dem 
praktischen Bedürfnis, andererseits aber daraus erklärt, daß der Mobiliarerbe im deutschen 
Rechte zuerst als Universalsukzessor, als für die Schulden des Erblassers haftend angesehen 
wurde. Einzelne Italiener verteidigten indes schon die Ansicht von der Allgemeingültigkeit 
der Lex domicilii, und in Deutschland wuchs seit dem 18. Jahrhundert die Zahl der Anhänger 
dieser letzteren Ansicht beständig, so daß sie im 19. Jahrhundert unbedingt als die herrschende, 
in der Praxis auch gültige bezeichnet werden mußte. In Frankreich dagegen, in dessen 
Coutumes die Grundsätze des älteren deutschen Rechts sich auch im Erbrechte bis zur Revolution 
in weit größerem Umfange erhalten hatten, überwog noch zur Zeit der Redaktion des Code 
eivil unbedingt die Ansicht von der Realität der erbrechtlichen Statuten, wenngleich z. B. schon 
der berühmte Parlamentspräsident Bouhier für die Lex domicilü sich ausgesprochen hatte. 
Daher wird auch nach der in der französischen Praxis heutzutage noch herrschenden An- 
sicht der zweite Satz des Art. 3 des Code civil: „Les immeubles, méme Ceux possédés par des 
étrangers, sont régis par la loi française, auf das Erbrecht mitbezogen und somit die Lex 
rei sitae angewendet, während die angesehensten Theoretiker sich für das Personalstatut des 
Erblassers aussprechen, wie denn in der Tat im Coce civil die Universalsukzession dem Erb- 
rechte zugrunde gelegt ist. (Ebenso unrichtig ist § 300 des österreichischen GB. und Hofdekret 
v. 22. Juli 1812, wonach für in Osterreich belegene Immobilien eines Ausländers die Lex rei 
sitae angewendet wird.) Dagegen hat Art. 8 der einleitenden Bestimmungen des italienischen 
Gesetzbuchs sich für die Anwendung des Staatsangehörigkeitsgesetzes erklärt, ebenso EG. BG#. 
Art. 24, 25, dieses deutsche Gesetz jedoch mit einigen, unten zu erwähnenden Vorbehalten. 
Die englisch-nordamerikanische Jurisprudenz behauptet heutzutage noch übereinstimmend 
die alleinige Anwendung der Lex rei sitae für den unbeweglichen Nachlaß. Die dafür vor- 
gebrachten Gründe sind nicht überzeugend. Wenn auch zugegeben ist, daß das unbewegliche 
Eigentum ein hervorragendes öffentliches Znteresse darbietet, so folgt daraus noch nicht, daß 
für das Schicksal desselben in einzelnen Fällen (und zwar lediglich für die Frage, wer der 
Berechtigte sein werde, nicht für die Frage der Natur der einzelnen Berechtigung) nicht 
indirekt ein fremdes Gesetz maßgebend sein könne; namentlich für eine Gesetzgebung, welche, 
wie die englische, eine schrankenlose Freiheit letztwilliger Dispositionen anerkennt, ist jener 
Grund völlig hinfällig. Der wahre Grund der Anwendung der Lex rei sitae in England 
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