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nach dem Gesetze des Tatortes muß also auch in der Heimat des Individuums wirksam sein, und
dafür spricht die Gerechtigkeit insofern, als wer im Auslande verweilt, dem Einfluß dort herr-
schender Sitten und Anschauungen ausgesetzt, also entschuldigt ist, wenn er das tut, was diese
erlauben. Aber der Heimatstaat kann mit Fug von dieser Ausnahme der Gebundenheit durch
das heimatliche Strafgesetz wieder eine Ausnahme machen, also den Staatsangehörigen für
unbedingt gebunden erklären, und tut dies auch, wenn es sich um die eigentliche Treupflicht
des Staatsangehörigen (oder Beamten) gegen ihn, den Staat, selbst handelt. Gesetze gegen
Hoch= und Landesverrat, gegen Pflichtverletzungen von Beamten finden also Anwendung ohne
Rücksicht auf Straffreiheit nach dem Gesetze des Tatorts.
Vielfach wird aber mit dem Territorialitäts- und dem aktiven Personalitätsprinzip
auch das sogenannte passive Personalitätsprinzip doder, wie man jetzt meistens
sagt, das Schutz= oder Realprinzip verbunden. Der Staat, so wird behauptet, hat
Recht und Verpflichtung, sich selbst und seine Angehörigen durch Strafgesetze zu schützen, ist
also strafzuständig auch gegen Handlungen von Ausländern, die im Auslande ihn oder seine
Angehörigen verletzen. Durch solche Erstreckung seiner Strafzuständigkeit — die überflüssig
ist, weil, wie bemerkt, jeder zivilisierte Staat innerhalb seiner Grenzen Auslander in völlig
gleicher Weise wie Inländer strafrechtlich schützt — macht aber der Staat den Ausländern über
ihr Verhalten im Auslande Zwangsvorschriften und unternimmt somit einen wirklichen Ein-
griff in das Souveränitätsrecht anderer Staaten; er hat zwar Schutzrecht und Schutzpflicht in
Beziehung auf seine Angehörigen im Auslande; allein Recht und Pflicht sind hier nicht straf-
rechtlicher, vielmehr völkerrechtlicher, diplomatischer Natur. Außerdem könnte bei allgemeiner
Annahme des sogenannten Realprinzips niemand auf Grund des territorialen Strafgesetzes
sich wirklich durchaus straffrei erachten: er könnte ja nach irgendeinem auswärtigen Strafgesetze
zur Verantwortung gezogen werden, wenigstens, wie bei großem internationalen Verkehr leicht
möglich, wenn er im Auslande betroffen wird. In vielen Fällen ist es auch zweifelhaft, wer in
Wahrheit der durch eine Tat Verletzte ist, also danach zweifelhaft die Zuständigkeit, die doch aus
praktischen Gründen möglichst wenig dem Zweifel ausgesetzt sein darf. Endlich aber können,
wenn solche Zuständigkeit nicht nur auf dem Papier stehen, vielmehr öfter praktisch angewendet
werden soll, bösartige Reibungen mit auswärtigen Staaten sich ergeben, die solche Zuständig-
keit gegenüber ihren Angehörigen nicht anerkennen. Gleichwohl hat das einem überspannten
nationalen Machtgefühl schmeichelnde Realprinzip in neuester Zeit wieder viele Anhänger,
besonders in Deutschland, gefunden, die dabei vergessen, daß vermöge des international geltenden
Reziprozitätsprinzips die Annahme des Realprinzips das Deutsche Reich verhindern würde,
diplomatisch zum Schutze eines Deutschen einzuschreiten, der wegen einer innerhalb des Deutschen
Reichs vorgenommenen und hier durchaus erlaubten Handlung im Auslande strafrechtlich ver-
folgt, vielleicht sofort verhaftet wäre. Nur bei Auslandshandlungen, die in der Verletzung oder
Gefährdung des Staates selbst bestehen, ist Bestrafung von Ausländern zulässig, da hier das
Ausland entweder keinen oder doch nur einen durchaus unzulänglichen Schutz gewährt; hier
steht aber auch das verletzte Subjekt durch die Natur der Handlung im konkreten Falle außer
Zweifel, ebenso meist die Strafbarkeit, und endlich werden hierher gehörige Handlungen von
Ausländern im Auslande gegen unseren Staat selten begangen.
Ein letztes Prinzip ist das des sogenannten Weltstrafrechts, dem-
zufolge jeder Staat jedes irgendwo und von irgendwem begangene (und noch nicht durch Strafe
gefsühnte) Verbrechen zu strafen berechtigt sein soll. Indes wird dies Prinzip meist nur mit
erheblichen Beschränkungen aufgestellt, d. B. mit der Einschränkung, daß der Staat nur straft,
wenn Auslieferung an den Staat des Tatorts oder den Heimatstaat des Schuldigen nicht statt-
findet. (In dieser Weise ist das Prinzip für schwerere Delikte angenommen, z. B. im italienischen
StGB.) Theoretisch wird das Weltrechtsprinzip darauf gegründet, daß schwere Verbrechen
in allen zivilisierten Staaten gleichmäßig strafbar seien; bei genauerer Betrachtung erweist sich
diese Annahme aber als unrichtig, und sehr verschieden zeigt sich, worauf es praktisch auch an-
kommt, die wirkliche Handhabung des Strafrechts. Außerdem ist es keineswegs immer für
den Angeklagten oder Verdächtigen unerheblich, in welchem Lande er sich zu verantworten,
gegen eine Anschuldigung zu verteidigen hat.