Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

26 J. Kohler. 
noch nicht gegeben, wenn der Berechtigte ihn erst durch beliebige Rechtshandlung hervorbringen 
kann. Ist also beispielsweise eine Sache hinterlegt, so hat der Hinterleger jeden Augenblick das 
Recht, die Sache zurückzuverlangen, aber es bedarf einer solchen Erklärung, — vorher entsteht 
der Anspruch nicht; und so in einer großen Reihe von Fällen, insbesondere auch in den Fällen 
des Widerrufs und anderen. Gerade darin zeigt sich mit völliger Klarheit die Bedeutung des 
Anspruchsbegriffes: bevor der Widerruf erfolgt ist, kann der Beschenkte, auch wenn er hundert- 
fachen Undank verschuldet hat, den Schenkungsgegenstand nicht mit der Wirkung zurückanbieten, 
daß der Schenker in Annahmeverzug kommt. 
Die Ansprüche, von denen man gewöhnlich spricht, sind Verwirklichungsansprüche; es 
gibt aber auch Sicherungs= und Beihilfeansprüche, z. B. den Anspruch auf Rechenschaftsablegung, 
auf Auskunftserteilung, §§ 259, 260 BGB. 1. 
Wer den Anspruch hat, heißt Anspruchsgläubiger, der Gegner heißt Anspruchsschuldner. 
8 19. Rechte und Rechtslagen werden hauptsächlich geschaffen durch Rechtshand- 
lungen. Das Gesetzbuch steht auf dem durch das römische Recht besonders ausgebildeten 
Stande des Rechtsverkehrs: die hauptsächlichen Anderungen des Rechtslebens sind der Initiative 
derjenigen Einzelwesen überlassen, in deren Gebieten die Anderung vor sich gehen soll. Darum 
gibt die Rechtsordnung den Einzelwesen die Befugnis, durch besondere Handlungen in das Leben 
und Weben des Rechts einzuwirken, die Kette zu lösen und zu schließen, zu säen, um die Folgen 
zu ernten. Die von der Rechtsordnung dem Einzelwesen zur Verfügung gestellten Mittel, um 
solche Erfolge zu erzielen, heißen Rechtshandlungen, und hierbei unterscheidet man zwischen 
Rechtsgeschäften und Rechtshandlungen im engeren Sinne. Für beide kommt es in Betracht, 
ob jemand geschäftsfähig, geschäftsun fähig oder geschäftsbeschränkt 
ist, §S 104 ff. BG. 
Geschäftsunfähig ist der noch nicht Siebenjährige und der wegen Geisteskrankheit Ent- 
mündigte; außerdem kann jemand momentan wegen Geistesverwirrung geschäftsunfähig sein. 
Geschäftsbeschränkt ist der Minderjährige von sieben Jahren an, ferner der Volljährige 
(21 Jahre), welcher wegen Geistesschwäche, Trunksucht (Alkoholismus, wozu auch Morphinismus 
gehört) oder Verschwendungssucht entmündigt worden ist. Der Geschäftsunfähige ist völlig 
unfähig des Rechtsverkehrs, der Geschäftsbeschränkte kann mit Zustimmung seiner gesetzlichen 
Vertreter (Eltern, Vormund) rechtlich handeln, doch kann auch (in der Regel) der gesetzliche 
Vertreter allein für ihn auftreten; ausnahmsweise ist Zustimmung des Vierzehnjährigen erforder- 
lich, so bei der Ankindung, § 1750 BB., und bei der Entlassung aus dem Staatsverband soll der 
Vierzehnjährige mindestens gehört werden, § 1827 BGB. Ohne den gesetzlichen Vertreter 
kann der Geschäftsbeschränkte ausnahmsweise handeln, wenn das Geschäft nur seinen Vorteil 
bewirkt, § 107. 
Volljährig ist der Mensch mit dem 21. Lebensjahre 2, er kann aber mit 18 Jahren für voll- 
jährig erklärt werden, §§ 1 ff., 104 BG. 
Die ganze Regelung der Sache hat schwere Mängels. 
1 Hierüber Lehrbuch I S. 182, 183 f. 
* Im Schweizer Recht wird man schon mit 20 Jahren volljährig, Art. 14. Frühere Rechte 
hatten große Verschiedenheit; in den Statuten von Mailand 1498 trat ebenfalls die Volljährig- 
keit mit 20 Jahren ein (annos viginti completos), die Volljährigkeit für den Prozeß aber schon 
mit 18 Jahren. Der ungarische Entwurf bestimmt die Volljährigkeit erst mit 24 Jahren und 
gibt dem Gericht sogar die Befugnis, die Minderjährigkeit um 3 Jahre zu verlängern. 
* Besser das Schweizer ZGB. Js 12—19. Ein Fehler ist die schroffe Scheidung von unter 
und über 7 Jahren. Wie, wenn ein aufgewecktes sechsjähriges Kind ein Spielzeug geschenkt erhält? 
Fehlerhaft ist es, den wegen Geisteskrankheit Entmündigten völlig bürgerlich tot zu machen: er 
kann in beschränktem Kreise immer noch einen kleinen Erwerb finden. Warum soll man ihm diesen 
verkümmern? Das Schweizer 86B. läßt die Urteilsfähigkeit im einzelnen Falle entscheiden. Vgl. 
auch Eltzbacher, Handlungsfähigkeit (1903), Breit, Geschäftsfähigkeit (1903). Ein weiterer 
Mangelist der: Wenn ein versteckt Geschäftsunfähiger eine Rechtshandlung vollzogen hat und der Mit- 
kontrahent durch die Nichtigkeit geschädigt worden ist, soll ihm nicht aufgeholfen werden? In der 
Tat muß geholfen werden nach § 829 BG#B., der rechtsähnlich hier in Anwendung zu bringen ist; 
natürlich nur dann, wenn der Mitkontrahent gutgläubig und ohne Verschulden ist, nicht also, 
wenn, wie es oft vorkommt, eine Klinik für Nervenkranke der umliegenden Geschäftswelt kundgibt, 
daß den Kranken nicht kreditiert werden soll. Vgl. R. Leonhard, Bankarchiv V S. 153, Heß in
	        
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