Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

30 J. Kohler. 
Inhalt habe i, dagegen nicht, wenn ein Vertreter einen Vertrag schließt, dessen Inhalt ihm völlig 
klar ist, von dem aber irrig glaubt, daß er seiner Instruktion entspricht: dies ist ein externer Irr- 
tum, der nicht in Betracht kommt 2. Bei Mißverständnis zweier Personen liegt nicht ein Dissens, 
sonderm eine Irrung derjenigen Person vor, welche das Erklärte anders auffaßte, als es der 
Verkehrsanschauung gemäß ist, und es gelten hierfür die gewöhnlichen Irrungsgrundsätze 5. 
Liegen mehrere Gründe der Anfechtung vor, so kann der Betroffene sämtliche geltend 
machen, welche ihm eben nützlich sind ". Die Frist ist bei Irrung unverzüglich, d. h. ohne 
schuldhafte Verzögerung, bei Betrug und Zwang ein Jahr von der Kenntnis der (nicht bloß 
objektiven, sondern auch subjektiven) Täuschung 5 bzw. ein Jahr vom Aufhören der Zwangslage 
an, §§ 119, 124. 
§ 22. Einer der interessantesten modernen Rechtsbegriffe ist der Einredebegriff. 
Er hat sich aus dem Begriff der exceptio entwickelt; diese beruht im römischen Recht auf der 
Duplizität des Rechtes: die exceptio war eine Gegenwirkung des prätorischen Rechts gegenüber 
dem bürgerlichen: nach „jus civile“ bestand die eine Rechtsordnung, nach „jus praetorium“ 
die andere, und ein Mittel der Ausgleichung war die exceptio, welche dem „jus civile“ (in 
seiner Klagformel) entgegentrat und es unwirksam machte. So insbesondere, wenn das „jus 
civile“ ein Geschäft als gültig betrachtete, während das prätorische Recht es etwa wegen Arglist 
in seinen Rechtswirkungen hemmte: hier war die exceptio doli das Hilfsmittel, um das jus 
civile zu neutralisieren. Das römische Recht zeigte in dieser Beziehung eine größere Leichtigkeit 
als das englische, denn im englischen Recht bedurfte es eines besonderen zweiten Prozesses bei 
dem Kanzler, damit dieser das law durch die equity unwirksam machte. Als die klassische Zeit 
des römischen Rechts dahin war, hat sich zwar der Begriff der exceptio noch fortgepflanzt, aber 
ohne große Klarheit. Erst im Mittelalter beginnt die Neuentwicklung; man unterschied zwischen 
eceptio facti und juris, was allmählich zu dem Einredebegriff des modernen Rechts geführt hat. 
Unsere Einrede ist die exceptio juris der Glossatoren und Postglossatoren. Die späteren Juristen 
allerdings konnten der Aufgabe nicht mehr gerecht werden, und auch die Schule des 19. Jahr- 
hunderts hat zwar das rein römische Recht dargelegt, konnte aber weder selbst die Entwicklung 
weiterführen noch auch die Entwicklungsgänge der Postglossatoren zu Ende denken. Erst den 
letzten Jahren war es vorbehalten, den neuzeitigen Einredebegriff zu fassen. Die Einrede setzt 
voraus ein an sich bestehendes Recht, das aber eine Partei nach ihrem Belieben wirkungslos 
machen kann 5. 
Man hat behauptet, diese Einrede widerstreite der Logik des Rechts; denn wenn das Recht 
etwas von jemandem wolle, so könne es diesem nicht das Recht geben, den Willen des 
Rechts zu vereiteln. Allein das ist unrichtig. Die Rechtsordnung kann sehr leicht irgendeine 
Wirkung an den Willen einer Person heften; ebenso wie sie im Strafrecht die Strafe von 
dem Willen des Antragsberechtigten abhängig machen kann, so kann sie auch im Zivilrecht 
den Beklagten verpflichten, falls er nicht in einer bestimmten Weise die Verpflichtung ab- 
lehnt. Damit wird ja in der Tat die Verpflichtung nicht wirkungslos; es ist unrichtig, zu 
sagen, ich sei nicht verpflichtet, wenn die Ablehnung der Verpflichtung in meinem Willen 
steht. Die große Bedeutung einer solchen Rechtsfigur zeigt sich vielmehr darin, daß 1. die Ab- 
lehnungsbefugnis von irgendwelchen Bedingungen abhängig sein kann, daß 2. die Ablehnung 
dem Verpflichteten Nachteile bringen kann, so daß er also zu wählen hat, ob er von dieser Ab- 
lehnungsbefugnis Gebrauch macht oder nicht, und daß 3. auf diese Ablehnungsbefugnis ver- 
zichtet werden kann; wird auf solche Weise verzichtet, so entsteht nicht etwa ein neuer Anspruch, 
  
1 Nicht schon, wenn jemand einfach unterzeichnet hat, ohne sich um den Inhalt zu kümmern; 
aber auch da gibt es eine Grenze; wird man annehmen, daß jemand sich zum Tode verurteilt, wenn 
er sein Todesurteil unterzeichnet? Vgl. RG. 15. November 1911 Entsch. 77 S. 309. Frühere 
Entsch. bei Seuffert 34 Nr. 189; 37 Nr. 288; 38 Nr. 207. 
* Vgl. RG. 23. April 1913 Entsch. 82 S. 193. 
* Lehrbuch 1 S. 511. 
* A. A. Henle, Anwendungsgebiet der Anfechtung wegen Drohung, S. 40 f. 
S Die Kenntnis von der objektiven Unrichtigkeit genügt nicht, RG. 18. Oktober 1904; Entsch. 
59 95. 
* Lehrbuch 1 S. 189 f.; Langheineken, Anspruch und Einrede (1903).
	        
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