Überblick über das englische Privatrecht. 349
zu erziehen; am Vermögen des Mündels anderseits hatte der alte Immobiliarvormund einen
eignen estate, entsprechend unserer muntschaftlichen Gewere; dagegen hat der bestellte Vor-
mund lediglich ein Verwaltungsrecht, bedarf zu allen Verfügungen besonderer Ermächtigung
seitens des Gerichtshofs und hat am Schluß der Verwaltung abzurechnen. In vielen Fällen
kann ein guardian zum Spezialzweck (lor special purpose) bestellt werden; der wichtigste An-
wendungsfall ist der guardian ad litem, der Vertreter des beklagten infant. Jede Art der
guardianship kann wegen Mißbrauchs vom Gericht entzogen werden.
b) Die königliche Fürsorge über idiots (mit dementia a nativitate) und lunatics (mit
dementia accidentalis) ist nicht der Chancery Division als solcher, sondern dem Lord Chancellor
und den einzelnen Lord Justices persönlich delegiert. Sie wird jetzt für beide Kategorien — ein-
schließlich der in concreto etwa als geistesschwach erscheinenden Taubstummen, Tauben, Stummen,
Blind und Tauben — im wesentlichen gleichartig geübt auf Grund der neuen Irrengesetzgebung
(Lunacy Act von 1890, 53/54 Vict. c. 5; 1891, 54/55 Vict. c. 65, 1908, 8 Edw. VII c. 47; 1911,
1/2 Geo. Ve. 40 Mental Deficiency Act 1913), welche sich zum Teil an ältere Gesetze an-
schließt. Das Prinzip der alten common law, daß jemand als Geisteskranker nur auf Urteil einer
jury behandelt werden darf, die auf Grund eines writ de idiota (lunatico) inquirendo zu-
sammentritt, ist für das ordentliche Verfahren zugunsten vermögender Geisteskranker bewahrt:
auf Anweisung des Chancellor entscheidet dessen Untergebener, der master in lunacy, mit
mindestens 12 Geschworenen nach eingehender Untersuchung über die Zurechnungsfähigkeit,
und es wird sodann für den Geisteskranken eine ihm nahestehende Person als committee zur
Fürsorge für Person und Vermögen eingesetzt, derart, daß zwar die Vermögensverwaltung,
nicht aber die Obhut der Person dem nächsten Erben anvertraut werden darf und dementsprechend
auch zwei verschiedene Personen als committee fungieren können. Der Vermögensverwalter
steht wie ein curator und hat dem master of lunagey jährlich Rechnung zu legen. Vermögens-
lose werden in summarischer Weise lediglich auf Grund einer Order des Grasschaftsrichters
oder Friedensrichters, die zum Erlaß zwei Arzte zuzuziehen haben, den öffentlichen Irren-
anstalten überwiesen. Unter einer dem Chancellor nachgeordneten Zentralbehörde, den Com-
missioners of Lunacy, findet durch die Visitors of Lunacy eine musterhaft durchgeführte
ständige Kontrolle aller Geisteskranken statt. 1913 ist die Unterbringung von iclots, im-
beciles, feeble-minded persons und moral imbeciles in Anstalten eingehend geregelt worden.
(Vgl. auch Mental Deficiency and Lunacy Scotland Act 1913.) Für Verschwender kann ein
committee of the estate, dagegen nicht ein committee of the person ernannt werden.
Pollock and Maitland I 299 ff., II 441 ff.; Blackstone lch. 17; Stephen
III ch. 6, IVlrch. 6 n. 9, IV, 3ch. öRenton, s. v. infants, idiot, lungey etc.; Eversley,
1. c., 1906; Ford, L.c., 1888; Renton, Law and Practice in Lunasc), 1896; Heywoold
Dand' Massy, Lunacy Practice, 19114.
§ 10. Die Ausbreitung des englischen Privatrechts.
Innerhalb des großbritannischen Reichs. Der im vorstehenden
skizzierte Privatrechtszustand besteht rein nur für das eigentliche Altengland, und auch hier
galten lange für die sog. Pfalzgrafschaften (Durham, Lancaster, Chester), für Wales und für
die Stadt Berwick am Tweed Besonderheiten (ogl. Gundermann 814; H. Lewis,
The ancient laws of Wales; Bowen, The statutes of Wales 1908), die aber heute zu einigen
partikularen Gewohnheiten zusammengeschrumpft sind. Das Recht Irlands (Ancient Laws
of Irland, 5 Bde. 1865—1901) steht demjenigen Altenglands sehr nahe; obwohl die alte irische
Brehon Law gegenüber dem schon von Heinrich II. und besonders von Johann (1210) gesetzlich
(445) eingeführten englischen Recht immer wieder hewordrang, und auch die späteren eng-
lischen Einzelgesetze vielfach nicht auf Irland angewendet wurden, trat eine enge Verbindung
in der Rechtsentwicklung beider Länder ein, seit durch die sog. Poynings Laws (10 Henr. VII
Ir. c. 22, 1495) alle damals geltenden Statuten auf Irland ausgedehnt wurden; seither lief
die Gesetzgebung meist parallel; durch die sog. Velverston's Act von 1782 (21/22 Geo. III Tr.
e. 48) wurden dann abermals zahlreiche englische Gesetze auf Irland für anwendbar erklärt,
und seit der Union von 1800 (39/40 Geo. III c. 67) binden die von dem seither gemeinschaft-
lichen Parlament erlassenen Statuten Irland nur dann nicht, wenn dies im Statut aus-
drücklich bestimmt wird; die Einheitlichkeit der Judikatur (ovgl. Duhigg, History of the kings