Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Zweiter Band. (2)

90 J. Kohler. 
die Vollstreckung auf die eine oder andere Sache lenken; der Schuldner kann aber immer noch 
wählen und das Gewählte leisten: die Wahl ist ihm erst dann definitiv entzogen, wenn die Voll- 
streckung zur vollständigen oder teilweisen Deckung geführt hat, § 264 BGB. 
Von Wahlverpflichtungen verschieden sind die Verpflichtungen, bei denen der Schuldner 
eine sog. facultas alternati va hat, d. h. die Möglichkeit, sich durch eine andere als 
die geschuldete Leistung zu befreien, z. B. wenn der Schuldner an sich schadenersatzpflichtig ist, 
aber die Befugnis hat, an Stelle des realen Schadenersatzes Geldentschädigung zu leisten (z. B. 
wegen unverhältnismäßigen Aufwands, § 251 BGB.), oder wenn jemand verpflichtet ist, eine 
Sache herauszugeben, aber die Möglichkeit hat, an Stelle der Sache ihren Wert zu bieten (§§ 1973, 
1992 BGB.). In diesem Falle ist nur der eine Gegenstand Verpflichtungsgegenstand, so daß, 
wenn die Verpflichtung auf diesen Gegenstand aus irgendeinem Grunde aufhört, nicht etwa 
ein anderer Gegenstand zu leisten ist. Der Schuldner hat eben die Möglichkeit, sich durch 
etwas anderes als den Erfüllungsgegenstand zu befreien, und dies braucht er nicht, wenn seine 
Schuld untergegangen ist. 
3. Zusammenhänge von Schuldverhältnissen. 
§s 65. Die Zusammenhänge, welche man als gegenseitige Schuldverhält- 
nisse zu bezeichnen pflegt, entstehen durch diejenigen Geschäfte, deren wirtschaftlicher Zweck der 
Austausch von Lestungen ist, Austauschgeschäfte, und diese Austauschgeschäfte nehmen 
dann einen besonderen Charakter an, wenn auf der einen Seite Geld, d. h. der allgemeine ab- 
strakte Wertmesser, zu leisten ist: denn dadurch gewinnt die Leistung auf dieser Seite etwas 
Abstraktes, was das Geschäft beweglicher und für die Ausgleichung günstiger macht, als wenn 
die Leistung aus anderen Dingen bestünde. Im übrigen kann es sich um den Umtausch von Gegen- 
ständen gegen Gegenstände, von Gegenständen gegen Leistungen, von Leistungen gegen Leistungen 
handeln. Dieser Austauschcharakter würde nun schwer verkannt, wollte man bei den Schicksalen, 
welche einem Schuldverhältnisse beschieden sein können, es übersehen, daß beide Verpflichtungen 
eine Einheit ausmachen, daß sie für einander bestimmt sind und ein wirtschaftliches Ganze bilden. 
Das BG#. 5 323 f. hat sich sehr eingehend mit diesen Beziehungen befaßt; aber sie bieten 
so viele Gesichtspunkte, daß unmöglich eine Gesetzgebung all und jede Kombination zu regeln 
vermag; die Rechtswissenschaft muß daher mit einer gewissen Freiheit an die Bestimmungen 
des Gesetzes herantreten und darf sich nicht durch den Buchstaben binden lassen. 
Tritt auf der einen Seite nachträglich eine Unmöglichkeit oder ein Unvermögen der Leistung 
ein, für das kein Teil zu haften hat, so muß auf der anderen Seite die entsprechende Leistung 
ebenfalls aufhören, geschuldet zu werden. Es entstünde sonst ein ganz anderes Ergebnis, als man 
verkehrsmäßig erstrebte: man wollte Leistung gegen Leistung und hätte nun einseitige Leistung; 
man wollte tauschen, man wollte nicht schenken. 
Allerdings ist damit die Sache nur insoweit erledigt, als es sich um momentanen Tausch 
handelt; denn wenn auf der einen oder anderen Seite länger dauernde Leistungsverhältnisse 
vorliegen, so kann der Fall nicht damit abgetan sein, daß man für die nicht mehr mögliche 
Leistung auf der einen Seite einfach die entsprechende Leistung auf der anderen Seite abzieht. 
Wenn z. B. bei einem Dienstverhältnis der Dienstleistende eine Zeitlang an der Dienstleistung 
gehindert ist, so ist das Verhältnis nicht damit begütigt, daß ein entsprechender Lohnabzug statt- 
findet, sondern man muß auch erwägen, ob nicht wiederum das Dienstverhältnis mit seinen 
sukzessiven Leistungen eine Einheit bildet, deren Fortsetzung dem Zahlungsleistenden nicht zu- 
gemutet werden kann, sobald es eine Zeitlang unterbrochen wird. Und noch viel mehr gilt dies 
in Gesellschaftsverhältnissen: hier können darum die gewöhnlichen Grundsätze des Tausch- 
geschäftes nur rechtsähnliche Anwendung finden und müssen durch andere, der Besonderheit 
des Vertragsverhältnisses entsprechende Regeln ergänzt oder geändert werden. 
Liegt eine teilweise Unmöglichkeit vor, so ist die andere Leistung entsprechenderweise zu ver- 
ringern, und dies in der Art, daß, wenn sie nicht in Geld besteht, zwar die ganze Sache zu geben 
ist, aber der Uberschuß in Geld ausgeglichen werden muß. Indes kann auch dies nicht immer 
wörtlich durchgeführt werden; so, wenn beispielsweise auf der einen Seite eine Wohnung, auf 
der anderen Seite Dienste zu leisten sind, und wenn der Dienstleistende erkrankt, so daß er die
	        
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