Wechsel- und Scheckrecht. 143
Tratte, um von auswärts fließende Einkünfte ohne reellen Transport nach Rom zu ziehen.
Der Gewinn, der aus der Trassierung dem campsor unter dem Namen Agio, Provision oder
Wechselkurs erwuchs, galt nicht mehr als Verletzung des kanonischen Zinsverbots, sondern als
legitimer Arbeitslohn für den Münztransport, der zufolge der distantia loci sofort oder später
notwendig wurde oder doch als notwendig angesehen wurde.
Die Tratten ohne distantia loci, bei denen ein Münztransport begrifflich ausgeschlossen
war, wurden von der Kirche verboten. Sie heißen Platz tratten, wurden aber auchtrockene
Wechsel (cambia sicca) genannt, wohl spottweise in den Seestädten, weil sie im Lande blieben
und nicht über die See kamen. Der Name des trockenen Wechsels wurde vom Platz-
wechsel auf den eigenen Wechsel übertragen und ist gerade an diesem haften geblieben.
Eine Bulle Pius' V. (1570) verbot alle cambia qune sicca nominantur.
Zur Umgehung des eigenen Platzwechsels verwandte man den meist dem Wucher dienst-
baren sog. Ricorsa- Wechsel (mit Personenidentität von Trassat) und Präsentant als die
Grundlage einer Rücktratte auf den Ausstellungsort.
Mitdenitalienischen Kampsoren wanderte die Tratte nach Nordeuropa, auch nach Deutschland,
wo sie die Ansätze zu einem eigenen wechselähnlichen Institut (Uberkauf) ganz verdrängte; der
älteste bekannt gewordenc von deutschen Kaufleuten gezogene Wechsel ist vom Jahre 1323 4.
5. Bedeutungsvoll für die Verbreitung und Entwicklung des Wechsels wurden die großen
französischen Waren messen (nundinae, leriae), besonders vom 12.—14. Jahrhundert die
sechs in ihrer Gesamtheit fast das ganze Jahr ausfüllenden Messen der vier Orte in der Cham-
pagne: Bar-sur-Aube, Lagny-sur-Marne, Provins und Troyes (Champagnermessen), vom
15.—17. Jahrhundert die jährlich viermal wiederkehrende Messe in Lyon, errichtet 1419, definitiv
geregelt 1494. Mit den Warenhändlern der verschiedensten Länder erschienen dort auch die
Kampsoren, besonders Genueser und Florentiner. Sie ersparten den Kaufleuten den Münz-
transport zur und von der Messe, indem sie die auf die Messe gezogenen Tratten (cambia ad
nundinas s. pro ferüs) einlösten und auch am Meßorte Tratten auf die Heimat oder beliebige
andere Orte (cambia ex nundinis s. de fers, Ritornowechsel) ausstellten 2. Der älteste
bisher im Wortlaut bekannte Meßwechsel ist von 1243 3. Aus politischen Gründen verliesten die
Genueser 1537 Lyon und errichteten auf Anstiften und unter dem Schutz Karls V. in Besancon
eine reine Wechselmesse, die 1597 nach Piacenza und um 1648 nach Novi verlegt wurde.
Die Meßtratten, besonders auf Lyon (cambium Lugdunense), galten als die regulären Wechsel;
die übrigen (cambia platearum) galten als irregularia. Die Meßzciten wurden zu europäischen
Wechselterminen, die Meßorte zu europäischen Wechseldomizilen Goldschmidt, Adler).
Zur Ersparung der Barzahlung diente auf den Messen die Ausgleichung mittelst Skon-
tration. Sie wurde dadurch ermöglicht, daß alle auf dieselbe Messe gezogenen Wechsel
gleichzeitig fällig waren, auf die nämliche imaginäre Rechnungsmünze, den scudo di marche
(/68 einer Mark reinen Goldes) lauteten und bei Meßbeginn zur Erklärung über die Annahme
des Zahlungsauftrages vorgelegt wurden; auch galten alle Meßwechselschuldner als gleich gut.
Aus der Vorlegung zur Annahme oder Ablehnung entwickelte sich das Institut des Alzepts,
das anfangs mündlich und formlos, dann formell, öffentlich und mündlich laut (alta voce),
später aber schriftlich auf dem Wechsel selbst erklärt wurde (in Lyon erst 1667).
Die privilegierten Meßgerichte sorgten für schnellen Prozeß (sans longs proces et figures
de plaicks) und besonders für straffe Exekution mittelst Personalhaft nach dem Grundsatz: solve
aut mane. Gegen flüchtige Schuldner wurde von der Meßbehörde das Heimatsgericht ange-
rufen unter Androhung des großen Meßbanns, d. h. des Ausschlusses aller Angehörigen des
betreffenden Staats von der Messe.
6. Die ältesten Tratten waren meist auf vier Personen berechnet:
a) den campsor, der die Zahlung am fremden Ort versprach (Trassant:
b) dessen auswärtigen Vertreter oder Geschäftsfreund (extraneus, Trassat);
1 Schulte, Gesch. des mittelalterlichen Handels, 1900, I S. 281. Über deutsche Eigen-
wechsel von 1283 ogl. Grünhut I 41 N. 1
Val. jetzt jedoch auch Sasf S . 50 ff.
*Schaube, Hondelsgeschichte- der vonpnischen Völker, 1906, S. 391 bei K. Lehmann
Handb. des Handelsrechts, 2. Aufl. S. 595 N.