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gegen einen empfangenen Wert an einem anderen Orte eine bestimmte Summe zu zahlen;
daher ist auch das materielle Verhältnis, das der Wechselausstellung zugrunde liegt, in das Wechsel-
recht hineingezogen. Gleichwohl fand das französische Wechselrecht mit dem Code de commerce
im westlichen Deutschland Geltung und wurde in zahlreichen anderen europäischen und außer-
europäischen Staaten ausgenommen oder nachgebildet. In Frankreich selbst erlitt das Wechsel-
recht des Code de commerce durch die spätere Gesetzgebung (19. März 1817, 23. und 24. März
1848, 3. Mai 1862, 7. Juni 1894, 28. März und 23. Dezember 1904, 13. Juli 1905, 20. und
22. Dezember 1906) etliche Modifikationen, deren wichtigste die endliche Beseitigung des Er-
fordernisses der Ortsverschiedenheit (remise de place en place) für die Tratte ist (G. v. 7. Juni 1894).
II. Die wechselrechtliche Zersplitterung rief in Deutschland, wo in der ersten Hälfte
des 19. Jahrhunderts 56 verschiedene Wechselordnungen aus ganz verschiedenen Zeiten neben-
einander in Kraft standen und mehr als ein Dutzend neuer Entwürfe entstanden waren, das
Bedürfnis nach einer gemeinsamen Wechselordnung hewor. In den Konferenzen der Zoll-
vereinsstaaten (seit 1836) und in den deutschen Ständeversammlungen wurde die Wechselrechts-
einheit wiederholt gefordert. In Gemäßheit eines Beschlusses der 8. Generalkonferenz des
Zollvereins von 1846 lud Preußen sämtliche, auch die dem Zollverein nicht angehörenden deut-
schen Bundesstaaten zu einer Konferenz behufs Beratung einer Wechselordnung auf den 20. Ok-
tober 1847 nach Leipzig. Fast alle deutschen Bundesstaaten sandten Vertreter (20 Juristen,
darunter Einert, Liebe, Thöl, 10 Kaufleute). Ein dem Allg. Landrecht von 1794
sich vielfach anschließender preußischer Entwurf wurde den Beratungen zugrunde gelegt. In
noch nicht zwei Monaten (35 Sitzungen) einigte man sich am 9. Dezember 1847 über den Ent-
wurf einer Allg. Deutschen Wechselordnung in 100 Artikeln, unter totaler Ausscheidung des
Wechselprozeßrechts und im Gegensatz zum französischen Recht unter fast vollständigem Aus-
schluß des zivilen Wechselrechts. Dieser Entwurf wurde in einzelnen kleinen Bundesstaaten
alsbald zum Gesetz erhoben, dann von der deutschen konstituierenden Nationalversammlung
zu Frankfurt a. M. (unter Kompetenzüberschreitung) unverändert als Reichsgesetz angenommen
und als solches unter dem 26. November 1848 vom Reichsverweser durch das am 27. November
1848 ausgegebene „Reichsgesetzblatt“ publiziert. Da diese Publikation der gesetzlichen Kraft
entbehrte, wurde die Wechselordnung in fast sämtlichen deutschen Bundesstaaten, mit Einschluß
von Osterreich, (am 25. Januar 1850) im Wege der landesverfassungsmäßigen Gesetzgebung
fast überall ohne Anderung eingeführt. Es geschah dies meistens in den Jahren 1848—1851,
in einigen wenigen Staaten von 1854—1862, in Schleswig sogar erst 1867.
Da ein einheitliches, oberstes deutsches Tribunal fehlte, die höchsten Gerichte der Einzel-
staaten aber einzelne wichtige Rechtsfragen ganz verschieden beantworteten, auch Divergenzen
der Landesgesetze (in der Frage der Beschränkung der Wechselhaft) bestanden, so wurde durch
Bundesbeschluß vom 19. Februar 1857 die in Nürnberg mit Ausarbeitung eines deutschen
Handelsgesetzbuchs beschäftigte Konferenz mit der Beratung und der Einreichung von Vorschlägen
beauftragt. Die demzufolge 1858 und 1861 gepflogene Beratung führte zu acht Vorschlägen,
den sog. Nürnberger Novellen (der Name rührt von Kuntze her), die durch Bundesbeschluß
vom 13. April 1861 zur Kenntnis der Bundesregierungen gebracht und von diesen (1861—1868)
als Landesgesetze eingeführt wurden. In Osterreich gilt statt der Novellen die materiell
von ihnen nur in einem Punkte abweichende Verordnung vom 2. November 1858.
Der Norddeutsche Bund erhob die Wechselordnung nebst den Nürnberger Novellen durch
Gesetz vom 5. Juni 1869 zu Bundesgesetzen; nach dem Gesetz, betr. die Verfassung des Deut-
schen Reichs, vom 16. April 1871 § 2 wurden sie zu Reichsgesetzen erklärt; sie sind durch be-
sondere Reichsgesetze auch in Bayern (22. April 1871), in Elsaß-Lothringen (19. Juni 1872)
und Helgoland (22. März 1891) eingeführt. Maßgebend ist der Text des Bundesgesetzblatts
von 1869 Nr. 32. Sie gelten auch in den Konsulargerichtsbezirken und in den deutschen Schutz-
gebieten (RGes. v. 10. Juli 1879, jetzt 7. April 1900 resp. v. 17. April 1886, jetzt 10. Sep-
tember 1900).
Bei jener Erhebung (1869) wurden die partikularrechtlichen Abänderungen zwar auf-
gehoben, die bloßen Ergänzungen aber (z. B. bez. Proteststunden, Meß= und Marktwechseln)
vorbehalten; diese landesrechtlichen Ergänzungen bestehen teilweise noch jetzt zu Kraft (Ein-
führungsgesetz zum HG#. vom 10. Mai 1897 A. 21), sind aber von geringer Bedeutung; die