Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

Börsenwesen. 217 
eine unrichtige Vorstellung von der Abwickelung der Börsentermingeschäfte zugrunde. Man 
nahm wahr, daß an den jeweiligen Börsenabrechnungstagen die Parteien untereinander die 
Differenz von Vertrags- und Liquidationskurs bezahlten, und faßte diesen Umstand dahin auf, 
daß an Stelle der Lieferung bzw. Kaufpreiszahlung nur die Differenz 
von Vertrags- und Ultimokurs unter den Parteien gezahlt würde. Man nahm an, daß die 
Parteien zwar an sich berechtigt seien, am Ultimo die Lieferung bzw. die Kaufpreiszahlung 
zu verlangen, daß sie aber regelmäßig davon Abstand nähmen und sich mit der Zahlung der 
oben erwähnten Differenz begnügten. 
Diese Erwägungen führen aber zu dem Ergebnis, daß der § 764 BG. auf die Börsen- 
termingeschäfte nicht anwendbar und daher eine praktisch bedeutungslose Bestimmung ist. Aller- 
dings wird in der Wissenschaft vielfach die gegenteilige Meinung vertreten mit der Begründung, 
daß es sich bei der Bestimmung des § 764 nur um eine ungeschickte Formulierung handle 1. 
Auch das Reichsgericht hält an der Anwendbarkeit des § 764 auf Börsentermingeschäfte fest, 
indem es aus dem Vorliegen gewisser sog. konkludenter Umstände (auffälliges Mißverhältnis 
zwischen Vermögensverhältnis und Höhe der Abschlüsse, Beruf, spekulative Natur des Vertrags- 
gegenstandes) ein Anzeichen für das Vorliegen von Geschäften im Sinne des § 764 erblickt (so 
zuletzt RG. 79 234 ff.). 
(7) Die Prolongation der Zeitgeschäfte. 
Nach dem oben S. 215 mitgeteilten Beispiel hat E. als Käufer am Ultimo Juni, der 
auf den 27. fiel, an A. für gelieferte 15 000 Mk. Diskonto-Kommanditanteile zu 1840% den 
Betrag von 27 600 Mk. zu bezahlen. Da C seinerseits die Papiere zu 184½ gekauft hat, würde 
er einen Verlust von 75 Mk. erleiden. Wenn er nun, z. B. weil er à la hausse spekuliert 
oder aus irgend einem andern Grunde die Stücke nicht abnehmen will, so wendet er sich 
an einen Geldgeber (Hereinnehmer). Dieser übernimmt an Stelle von E. die Papiere und 
bezahlt dafür den Liquidationskurs. Ultimo Juli empfängt sodann E. die Papiere von ihm 
zurück gegen Erstattung des Hereinnahmekurses von 1840 zuzüglich der vereinbarten Zinsen 
für einen Monat. Ebenso kann A. als Verkäufer in die Lage kommen, sein Engagement 
zu prolongieren, z. B. weil er à la baisse spekuliert oder aus anderen Gründen. Er wendet 
sich daher an einen Hereingeber (Geldnehmer), der ihm die Stücke für einen Monat leiht und 
sie für ihn Ultimo Juni an E. liefert. A. zahlt ihm dafür den Liquidationskurs, gibt ihm 
Ultimo Juli die Stücke zurück und erhält von ihm den Liquidationskurs zuzüglich der ver- 
einbarten Zinsen für einen Monat. A. hat dabei einen doppelten Vorteil: er erhält sowohl 
die Stücke geliehen als auch Zinsen für sein Geld. 
Aus vorstehendem ergibt sich, daß der Haussier, der prolongieren will, die gekauften 
Papiere anbietet und dafür Geld sucht, während umgekehrt der Baissier Geld anbietet und 
Papiere sucht. Es ist daher naturgemäß, daß diese beiden Parteien (im vorliegenden 
Beispiel A. und E.) die Prolongation am besten untereinander vomehmen werden; sie 
werden nötigenfalls durch einen Makler, bei dem sich Angebot und Nachfrage konzentriert, leicht 
zusammengeführt werden. Daneben gibt es aber an der Börse auch eine Anzahl von unbe- 
teiligten Dritten, die als Hereinnehmer „Ultimogeld“ für die Zwecke der Prolongation zur 
Verfügung stellen, namentlich Großbanken und größere Bankfirmen, die auf diese Weise eine 
Verzinsung ihrer flüssigen Mittel erzielen. Dagegen werden sich weniger leicht Personen 
finden, die als Herein geber auftreten, d. h. Papiere verleihen, denn sie erhalten ja kein Ent- 
gelt für die geliehenen Papiere, müssen vielmehr für den empfangenen Geldbetrag Zinsen be- 
zahlen. Solche an der Spekulation unbeteiligte Personen, wie Großbanken usw., werden also 
nur dann bereit sein, als Hereingeber von Papieren aufzutreten, wenn sie für den empfangenen 
Geldbetrag einen besonders niedrigen Zinsfuß oder auch keinen Zinsfuß zu bezahlen haben, 
oder wenn gar umgekebrt der Hereinnehmer sich dazu versteht, für die geliehenen Stücke seiner- 
seits eine Vergütung (Leihgeld) an den Hereingeber zu zahlen. Diese Fälle des sog. Stücke- 
mangels kommen vor bei starkem Überwiegen der Baisse- über die Hausseengagements in 
einem bestimmten Papier, oder wenn aus einem speziellen Grunde ein besonders lebhaftes Inter- 
So Lehmann, Handelsrecht, 5. Aufl., S. 741; Cosack, Handelsrecht, 7. Aufl., S. 385.
	        
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