Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

Zivilprozeß- und Konkursrecht. 259 
der Behörde einen Anhalt zu geben, ob sie die Betätigung der freiwilligen Gerichtsbarkeit 
vollziehen oder ablehnen soll. Allerdings ist es hier denkbar, daß die materiellen Fragen vorher 
durch ein Prozeßverfahren unter den Beteiligten festgesetzt werden, und es steht natürlich der 
Gesetzgebung frei, zu bestimmen, daß eine Betätigung der freiwilligen Gerichtsbarkeit erst dann 
erfolgen darf, wenn das Bestehen eines Rechtsverhältnisses, welches die Vorfrage bildet, prozeß- 
gemäß entschieden ist. So darf z. B. dem Geisteskranken (abgesehen vom Fall des § 1906 BGB.) 
kein Vormund gegeben werden, wenn nicht vorher eine Entmündigung und damit eine Be- 
stätigung der Geisteskrankheit stattgefunden hat: diese Konstatierung ist dann nicht ein bloßes 
Element in der Kette der freiwilligen Gerichtsbarkeit, sondern sie ist eine notwendig voraus- 
gehende gerichtliche Entscheidung. Anders dagegen, wenn beispielsweise im Falle der §§s 1357, 
1358 BGB. und 53 des Gesetzes über freiwillige Gerichtsbarkeit (G. f. G.) das Vormund- 
schaftsgericht zu erwägen hat, ob der Gebrauch der eheherrlichen Macht sich als ein Mißbrauch 
darstellt, oder wenn im Falle der I§ 1379, 1402, 1447, 1451 BGB. das Gericht prüfen muß, 
ob ein „ausreichender Grund“ der Zustimmungsverweigerung vorliegt. Hier wäre es ja sehr 
wohl möglich, daß die Gesetzgebung verordnete, es sollte diese Frage zuerst durch Prozeß ent- 
schieden werden; man will aber womöglich den Prozeß unter Ehegatten vermeiden und über- 
läßt es darum dem Vormundschaftsgericht, diese Frage lediglich als Erwägungspunkt zu be- 
trachten und ohne prozessuale Entscheidung nach seiner Erwägung und Prüfung zu handeln. 
Ebenso wird über die Frage des Umgangs geschiedener Eheleute mit den Kindern nicht mehr 
(wie früher) durch Urteil, sondern durch Beschluß der Obervormundschaft entschieden 1. Und 
dasselbe gilt von den Registereinträgen im Firmenwesen (§ 125 f., 142 f. G. f. G.), dasselbe 
von der Tätigkeit des Standesbeamten (Personenstand.-Ges. § 11 und G. f. G. F§ 69). 
Ob der eine oder andere Weg gewählt wird, ist nicht eine Sache grundsätzlicher Art, sondern 
eine Sache geschichtlicher Entwicklung und positiver Gesetzgebung (vgl. auch den § 127 G. f. G. 
und § 1308 BGB. mit dem saufgehobenen] § 32 Personenstand.-Ges.). 
In gleicher Weise ist es möglich, daß eine Behörde der freiwilligen Gerichtsbarkeit einen 
vollstrecbbaren Vertrag aufnimmt; es ist auch möglich, daß sie Beteiligten eine Frist setzt, um 
Widerspruch zu erheben, ansonst sie als zustimmend gelten; auch dies ist bei uns mehrfach der 
Fall, vgl. § 98, 158 G. f. G. Bei allen diesen Betätigungen geht die Behörde nicht über das 
Gebiet der freiwilligen Gerichtsbarkeit hinaus. Möglich wäre natürlich auch hier die andere Be- 
handlung, daß man im Wege des Prozesses die Beteiligten zu einer Erklärung zwänge. Man 
hat aber bei uns den obigen Weg gewählt. 
Hier wie so oft gilt der Satz: die Begriffe sind fest, die Art ihrer Handhabung ist geschichtlich 
wandelbar. 
8 7. Der bürgerliche Prozeß als Parteiprozeß ist ein Rechtsverhältnis zwischen zwei 
Personen, welches eine Entwicklung zuläßt und bestimmungsgemäß eine Weiterbildung und 
eine Auflösung darbieten soll. Zivilprozeß ist nicht ein Verhältuis für die Dauer — er ist 
ein Kampfzustand, der einem baldigen Frieden und einer möglichst schleunigen Erledigung zu- 
Freben. muß. 
In diesem Rechtsverhältnis können, wie in jedem Rechtsverhältnis, Rechtshandlungen 
verschirdener Art vorkommen, die das Rechtsverhältnis weiterbilden und der Erledigung ent- 
gegenführen; immer aber ist und bleibt es ein und dasselbe Rechtsverhältnis, und es ist völlig 
abwegig, hier eine Summe oder eine Reihenfolge von Rechtsverhältnissen anzunehmen: deun 
der Zivilprozeß muß richtig angesponnen werden, damit er richtig wieder erledigt werden kann; 
irgendeine Einleitung, welche einen Grundfehler in sich trägt, macht die ganze folgende Tätig- 
keit mangelhaft und stört ihre Wirkung 2. Das zeigt sich auch noch darin, daß, wenn etwa das 
Rechtsverhältnis durch Unterbrechung aufhört, alles, was in der Unterbrechungsperiode an 
Prozeßhandlungen geschieht, bedeutungslos ist, zum Zeichen, daß alles von einem und dem- 
selben Prozeß getragen wird. 
1 § 1635 B. G.B., RG. 26. 4. 1906 Entsch. 63 S. 263. 
Vgl. auch Eigfan 4 e er, Z. f. Ziv.-Prozeß XXVII, S. 20 f.; OL G. Stuttgart 24. Mai 
1901, Mögdan III S. 
177
	        
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