Zivilprozeß- und Konkursrecht. 269
sind. Sie sind im Behördenorganismus mehr oder minder dem Gerichte angegliedert oder
stehen doch unter seiner Aufsicht; ersteres ist der Fall bei den Staatsanwälten und Gerichts-
schreibem, letzteres bei den Gerichtsvollziehern. Eigenartig ist es, daß Postboten, welche in den
meisten Staaten Unterbeamte des Reichs sind, auch in gerichtlichen Funktionen wirken.
2. Gerichtsbarkeit.
§ 14. Das Gericht ist Gericht kraft der Gerichtsbarkeit, weil es vom Staat mit der Macht
begabt ist, 1. in maßgebender Weise zu bestimmen, was Rechtens ist, und 2. das Recht, selbst gegen
den Willen des Beklagten, zu verwirklichen.
Diese Autorität kann nach unseren Anschauungen nur das staatliche Gericht haben, während
frühere Kulturperioden auch anderen Kulturmächten die Befugnis gaben, Gerichte zu schaffen,
mit der Möglichkeit der Rechtsprechung und der Rechtsverwirklichung; so insbesondere die Kirche.
Da nämlich die Kirche vielfach mit dem sonstigen nationalen Leben im Widerspruch stand und
dieses einer heilsamen Disziplin unterwarf, so betrachtete sie es als eine Lebensfrage, daß ihr
nicht nur gestattet werde, Vorschriften zu geben, die im bürgerlichen Leben zu berücksichtigen
seien, sondern auch Gerichte einzusetzen, um diese Vorschriften zu verwirklichen. Dies galt ins-
besondere für Wuchergesetze, dies galt aber auch für die persönlichen Verhältnisse der Geist-
lichen, die zwar in der Zeit des fränkischen Reiches einfach unter der staatlichen Autorität standen,
dann aber in späteren Jahrhunderten immer mehr eine unabhängige Stellung begehrten und
sie schließlich auch erlangten. Von besonderer Bedeutung wurde hier die Authentica Statuimus
Friedrichs II. von 1220 1.
Unsere (staatlichen) Gerichte sind ordentliche Gerichte oder Sondergerichte. Beides sind
Gerichte, daher rechtsprechende Behörden ?. Der Unterschied zwischen ihnen ist aber folgender:
Die sogenannten ordentlichen Gerichte haben eine unbeschränkte Gerichts-
barkeit, mit wenigen Ausnahmen: die Gerichtsbarkeit fehlt nur
1. wo es sich um Personen handelt, die aus staats- oder völkerrechtlichen Gründen der
Gerichtsbarkeit entzogen sind 3, wie Landesherren, Mitglieder der landesherrlichen Familie
(§+5 EG. zum GVG.), fremde Souveräne ", Gesandten, ihre Familien, ihr Personal, ihre Diener-
schaft, letzteres soweit sie nicht aus Inländern besteht, und endlich fremde Staaten #,
2. wo es sich um Materien handelt, welche aus Gründen des internationalen Rechts der
inländischen Gerichtsbarkeit entzogen werden, so
a) die Frage über das Grundeigentum auf ausländischem Gebiet und über das dort
geltende Immaterialrecht,
b) die Frage über die Gültigkeit ausländischer Staatsakte 6.
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scolares extranei qui propter paupertatem vel potentiam adversarü advocatum habere non
possunt (Mon. istor. di Romagna p. 214); ähnlich in Vercelli (1241) a. 116. Ubrigens lassen
ich Spuren der Armenanwaltschaft schon im Kapitularienrecht entdecken; uvgl. Laß, Anwaltschaft
im Zeitalter der Volksrechte (1891) S. 36 f. So bekam auch bei den mittelalterlich deutschen Ge-
richten der Unkundige seinen Fürsprecher.
1 Doch wurde der Verzicht des Geistlichen auf das privilegium fori von den weltlichen Sta-
tuten mitunter als gültig erklärt, so in Como (1252) a. 277 (Mon. h. p. XVI, p. 192). Inter-
essante Bestimmungen darüber hat das Wormser Recht, vgl. Kohler und Köhne S. 22, 23.
: Die Frage, ob ein Sondergericht zuständig ist, ist darum nicht eine Frage über die Zulässig-
keit des Rechtswegs ( 547 Z. 1 8PO), RG. 26. 4. 1911, Entsch. 76 S. 177.
* Abgesehen vom ausschließlichen dinglichen Gerichtsstand, der auch hier durchgreift (§ 20
GV.), vgl. RG. 41, S. 388.
* Ugl. Z. f. Völkerrecht VI S. 201.
* Ugl. RG. 12. 9. 1906 Z. f. Völkerrecht II S. 313; dazu Kohler, Z. f. Völkerrecht IV.
S. 309 f. und die Gutachten von Laband, Meili, Seuffert ebenda IV S. 334, 353, 420. Uüber den
Fall des ausschließlichen dinglichen Gerichtsstandes vgl. meine Ausführungen S. 318, hier auch
über die zwei weiteren Fragen: 1. ob ein Staat sich der Gerichtsbarkeit eines anderen Staates
unterwerfen kann; 2. ob der Staat, der klagt, sich eine Widerklage gefallen lassen muß.
Vgl Gesammelte Beiträge S. 542. Daß ausländische Staatsakte von den inländischen
Gerichten nicht abgeurteilt werden dürfen, darüber vgl. auch Appellhof Brüssel 1. Juli 1891,
Journ. du droit intern. prive XX, p. 224.