Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

280 J. Kohler. 
die freie Wahl zwischen allen Gerichten des Landes haben solle. Dieses System hätte aber, 
wenigstens in größeren örtlichen Staatsgebieten, wesentliche Nachteile; nicht etwa bloß, weil 
die Gerichte bald überlastet, bald ganz arbeitslos wären, sondern es widerspräche namentlich 
den Interessen des Beklagten: denn es ist nicht jedermanns Sache, vor allen Gerichten des ganzen 
Landes Rede zu stehen; hier aber müßte er entweder überall erscheinen oder an den verschiedensten 
Orten Vertreter aufstellen, was mit Schwierigkeiten, Umständlichkeiten und Kosten verknüpft 
wäre. Darum herrscht eine Ordnung, die man die Gerichtsstandsordnung oder Kompetenz- 
ordnung nennt. Außerdem können noch sachliche Interessen in Betracht kommen; so ist es bei 
dinglichen Rechtsstreitigkeiten und bei Familienprozessen ein Interesse öffentlicher Ordnung, 
daß sie nicht an ein beliebiges Gericht, insbesondere nicht an ein ausländisches Gericht, gebracht 
werden. Die Gerichtsstandsordnung ist eine Verteilung der Geschäfte, aber, im Gegensatz zur 
Verteilung unter eine Mehrheit von Kammern, ist es eine Ordnung, welche die Rechte des Be- 
klagten berührt; der Beklagte hat die prozessuale Befugnis, ein unzuständiges Gericht abzulchnen; 
aber auch das Gericht hat die Pflicht, dafür zu sorgen, daß dem Beklagten kein Unrecht geschieht: 
darum hat das unzuständige Gericht von sich aus die Sache abzulehnen, solange es un- 
zuständig ist. Ein Walten des unzuständigen Gerichts rührt an das Persönlichkeitsrecht. 
Die Ordnung wird sich nach der Richtung gestalten müssen, daß die Sache an diejenigen 
Gerichte kommt, welche entweder mit dem Beklagten in näherem Zusammenhange stehen, oder 
welche mit der Streitsache selber in einer solchen Weise verbunden sind, daß man dem Beklagten 
zumuten kann, hier zu erscheinen. Der erste Gesichtspunkt ist der durchschlagendste; man pflegt 
ihn mit dem Rechtssprichwort zu bezeichnen: actor sequitur forum reiz nicht der Beklagte hat 
dem Kläger zu folgen, sondern der Kläger hat den Beklagten aufzusuchen . Daher gilt als die 
Norm: der Beklagte ist an dem Orte zu belangen, mit dem er kraft seiner Verhältnisse am meisten 
verknüpft ist. Früher war dies die Ortsangehörigkeit, auch schon der Besitz von Grundeigentum; 
heutzutage vor allem der Wohnsitz; bei Gesellschaften, Vereinen, juristischen Personen der Sitz 
(§& 7, 24, 80 BGB.)2. Der Beklagte kann sich nicht beschweren, wenn man ihn da vor das 
Gericht zieht, wo er den Mittelpunkt seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat. Neben dem Wohnsitz 
kann unter Umständen, aber nur seltener, der Aufenthalt oder der frühere Wohnsitz in Betracht 
kommen, regelmäßig nur bei einem, der gar keinen Wohnsitz hat, weder im In- noch im 
Ausland. Handelt es sich um einen, der im Deutschen Reiche keinen Wohnsitz hat, hier aber 
Vermögen besitzt, so kann in Vermögenssachen das Gericht des Vermögensbesitzes angerufen 
werden. Dies hat sich wie folgt entwickelt: Wenn der Ausländer Vermögen besaß, pflegte 
man es im Prozeß mit Arrest zu belegen, und wenn er widersprach, so mußte hier der Arrest 
„gerechtfertigt“ und dabei geprüft werden, ob ein Anspruch gegen ihn bestehe oder nicht. Aus 
diesem Gedanken bildete sich der sogenannte Gerichtsstand des Vermögensbesitzes: er war 
früher eine Folge des gegen den Beklagten erwirkten Arrestes; heutzutage besteht er auch ohne 
solchen und geht weiter über die Arrestsicherung hinaus in infinitum. 
In diesem Sinne läßt er sich nicht halten; es ist gegen alle internationale Ubung, daß man 
einen Fremden wegen eines stehengebliebenen Regenschirmes an dem Orte, wo er sich momentan 
aufhielt, auf Millionen belangen kann; gerechtfertigt ist der Gerichtsstand nur in der Sphäre 
des Arrestes. Allerdings schon heute muß man sagen, daß mit dem Gerichtsstand kein Mißbrauch 
getrieben werden darf, und Mißbrauch ist es, den Fremden zu schikanieren mit den Gebrauchs- 
gegenständen, die er als Fremder bei sich hat, oder ihn zu verklagen, etwa weil am Orte des 
Gerichts sein Handelsbuch liegt 2. Ein vollstes Unding ist es, den Gerichtsstand wegen solcher 
Dinge eintreten zu lassen, die niemals Gegenstand der Vollstreckung sein können 
gegen die andere, z. B. der richterlichen Abteilung gegen die Grundbuchabteilung, gibt es nicht 
(es ist Sache der Beteiligten, nötigenfalls Beschwerde zu erheben; vgl. Dronke, Z. f. Zivil- 
prozeß XXVII S. 353 f.). 
Eine Ausnahme davon enthält 5 371 Abs. 4 HGB:; eine Besonderheit enthält §J 27 GewG. 
und § 16 Kauf G. 
: Bezüglich des Reeders und Schiffseigners kommt z 488 HGB. und § 6 Binnenschiff-Ges. 
in Betracht. 
* REEntsch. 51 S. 163. 
* So wegen des unpfändbaren Anteils einer fortgesetzten Gütergemeinschaft, RG. 10. 3. 1911 
Entsch. 75 S. 414. So hat man auch eine Forderung zugelassen, obgleich sie mit einer Aufrechnungs-
	        
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