282 J. Kohler.
Neben diesem Erfüllungsgerichtsstand gibt es noch einige Nebengerichtsstände, die auf
dem Gedanken beruhen, daß für gewisse Streitigkeiten regelrecht ein bestimmter Ort Erfüllungs-
ort sein wird. So z. B. wenn jemand eine Geschäftsniederlassung hat und es sich um An-
gelegenheiten dieser Niederlassung handelt; und ähnlich ist es bei Marktstreitigkeiten, doch ist
der Marktgerichtsstand an bestimmte Erfordernisse geknüpft (§ 30 ZPO.).
Auch einen Gerichtsstand der unerlaubten Tat kennt unsere 38PO., was einige Begründung
hat; denn da, wo gegen das Gesetz verstoßen ist, soll auch die Gegenwirkung eintreten können.
Doch auch hier tritt der obige Zwiespalt ein; ist der Gerichtsstand gegeben, wenn der Kläger eine
unerlaubte Tat behauptet, oder nur dann, wenn eine solche vorliegt? Letzterenfalls muß das
Gericht, um über den Gerichtsstand zu entscheiden, die Sache selbst entscheiden 1)
Wichtig ist ferner der Gerichtsstand der Erben: wo nämlich der Erblasser zur Zeit seines
Todes seinen allgemeinen Gerichtsstand hatte, sollen die Erbschaftsstreitigkeiten und ebenso
auch die damit verbundenen Abwicklungsstreitigkeiten erledigt werden können. Dieser Gerichts-
stand ist von großer internationaler Bedeutung, denn er ermöglicht es, in Erbschaftsangelegenheiten
bei dem Erbschaftsgericht eine Entscheidung zu erwirken, obgleich die Erbschaft vielleicht großen-
teils aus Grundstücken besteht, die in anderen Gebieten, vielleicht in einem ganz anderen Lande,
gelegen sind. Auf diese Weise kann dem oben angeführten Satze, wonach ein fremder Staat
nicht über Grund und Boden entscheiden soll, zuwider gehandelt werden, was aber nicht zu
vermeiden ist, wenn man nicht die Einheit der Erbschaft aufgeben, wenn man sie nicht in der
Weise des englischen Rechts in so viel Parzellen, als es Länder sind, in denen Erbschaftsgrund-
stücke liegen, auflösen will. (Wichtig darum a. 28 BGB.)
Soweit nicht ein Gerichtsstand ausschließlich ist, hat der Kläger die Wahl zwischen den
mehreren ihm zur Verfügung gestellten Gerichtsständen, also insbesondere zwischen dem Wohnsitz-
gerichtsstand und den besonderen Gerichtsständen. Dies ist eine gewisse Ausgleichung dafür,
daß regelrecht der Kläger den Beklagten aussuchen muß und nicht verlangen kann, daß dieser
an ihn herantritt. Man gibt daher dem Kläger die Möglichkeit, an Stelle des ihm vielleicht sehr
unbequemen Wohnsitzgerichtsstandes des Beklagten den besonderen Gerichtsstand zu wählen 2.
In gewissen Fällen zieht die Zuständigkeit der einen Sache die der anderen nach sich:
Vereinigungsgerichtsstände (§§ 25, 33, 603 B3PO.), deren wichtigster der dingliche Gerichts-
stand der Hypothekenklage ist: er kann auf die Schuldklage erstreckt werden, so daß über
Hypothek und Schuld von gleichem Gericht entschieden wird.
Ausschließlich sind (außer dem dinglichen Gerichtsstand) regelmäßig die Gerichtsstände
des Familienprozesses; meist ist es de Gerichtsstand des für die Familie maßgebenden ehelichen
Wohnsitzes, auch des früheren Wohnsitzes (§s 606, 642, 648, 665 ZPO.).
In Notfällen wird ein zuständiges Gericht vom Obergericht auf Antrag bestimmt (§ 36f.
ZPO.), vg aber auch Novelle vom 22. Mai 1910 a. V, wonach für Preußen ein OL#. statt
des R diese Bestimmung treffen kann.
Die Gerichtsstandsordnung ist eine im Interesse des Beklagten, auch im Interesse des
Gerichts und der Sache selbst gegebene Ordnung; sie rührt aber nicht so sehr an den Gumd-
festen des Prozesses, daß eine Verletzung dieser Ordnung Nichtigkeit herbeiführte 3; das träfe
nur zu, wenn das unzuständige Gericht auch der Gerichtsbarkeit entbehrte, was aber nicht der
Fall ist: das ordentliche Gericht hat Gerichtsbarkeit in allen möglichen Sachen, und die Gerichts-
standsordnung ist nur eine Pflichten-, nicht eine Beschränkungsordnung, eine Ordnung, welche
besagt, daß man von der Gerichtsbarkeit und dem Rechte der Justiz in bestimmt geregelter
Weise Gebrauch machen solle.
Die Gerichtsstandsordnung ist vornehmlich im Interesse des Beklagten gegeben; daher
ist es nicht ausgeschlossen, sie durch Vertrag zu regeln; man spricht hier von Zuständigkeits-
1 Diese letztere, offenbar unrichtige, Auffassung hat das RG. 21. 3. 1912, Warn. 1912 Nr. 275,
vertreten.
: Es gibt übrigens Ausnahmefälle; so ist nach § 24 des Gesetzes über unlauteren Wettbewerb
(1909) der Gewerbegerichtsstand, nach z 272, 309 HGB., nach #B51, 96 Genoss. Ges., 8 75 Ges.
über Gesellsch. m. beschr. Haftung der Gerichtsstand des Eitzes der Gesellschaft, nach 8 47 Börsen-
Ges. der Gerichtsstand der unerlaubten gat ausschließlich.
* So auch aueländische Nechte, z. B. Kassat.-Hof Rom (Plenarentscheidung) 27. April 1886
Monitore delle leggi 1886 p. 30