Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

Zivilprozeß- und Konkursrecht. 289 
allem für die Zeugeneinvernahme. Hier bestand lange Zeit eine Ausnahme: das gemeine 
Recht schloß hierbei die Parteien aus, obgleich das römische wie das kanonische Recht sie zu- 
gezogen hatte; erst das Protokoll über die vemommenen Zeugen oder ein Auszug daraus 
wurde ihnen nachträglich mitgeteilt 1. Man glaubte, daß dadurch die Beeinflussung der Zeugen- 
aussagung besser vermieden würde. Der neuzeitige Prozeß kennt einen solchen Ausschluß der 
Parteien nicht mehr (ss 357, 397 ZPO.). Was von den Parteien gilt, gilt auch von den Be- 
teiligten im Untersuchungsverfahren (S 653 ZPO.). Zur Parteienöffentlichkeit gehört auch 
das freie Recht der Akteneinsicht (5 299 8PO.). 
4. Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit. 
a) Unmittelbarkeit unter den Parteien:. 
§ 29. Die Unmittelbarkeit unter den Parteien ergibt sich bei der mündlichen Ver- 
handlung von selbst: indem die Partei sich vor Gericht erklärt, erklärt sie sich unmittelbar gegen- 
über der Gegenpartei. Dies gilt aber auch von schriftlichen Erklärungen. Hier ist ein Doppeltes 
möglich: entweder stellt die eine Partei der anderen die Erklärung unmittelbar zu; oder der 
Verkehr ist ein gerichtlich vermittelter, indem die eine Partei die Erklärungen dem Gerichte 
übergibt und dieses dem Gegner. 
Der Gegensatz durchdringt das Recht der Völker; er zeigt sich insbesondere in der Klage- 
erhebung. Diese war ehedem durchaus eine unmittelbare, sie ist aber mit der Zeit vielfach 
mittelbar geworden; so im Justianinischen Libellprozeß, der im Mittelalter reichliche Nachfolge 
gefunden hat S. Das deutsche Recht kannte beides: die unmittelbare Labung, mannitio. und 
die Ladung durch gerichtliche Vermittlung kraft Amtsrechts, bannitio. 
Im französischen Recht hat sich die unmittelbare Ladung erhalten "; in Deutschland hatte 
sich das mittelbare Verfahren entwickelt; es hat in unserer PO., was die Klage betrifft, wieder 
dem unmittelbaren Platz gemacht (§ 253 Z PO.). 
Für die Klage läßt sich dieses Verfahren als Regel rechtfertigen. Die Zivilprozeßordnung 
bestimmte es aber ehedem auch für die Rechtsmittel, mit Ausnahme der Beschwerde, und dies 
war ein Fehler; denn bei Rechtsmitteln ist Rechtzeitigkeit eine Lebensfrage: erfolgen sie nicht 
rechtzeitig, so können Millionen verloren sein. Ist nun die Erhebung des Rechtsmittels nur 
durch Zustellung möglich, so ist der Rechtsanwalt völlig abhängig von der richtigen Tätigkeit 
des Zustellungsbeamten; tut dieser nicht, was er zu tun hat, so ist das Recht unwiderbringlich 
dahin; ein Fehler der Zustellung, und die Berufung ist ungültig und infolgedessen die Berufungs- 
frist versäumt. Wie viele unnötige Sorgen, wie viele Bangigkeit und wie viele ungerechte 
Ergebnisse hat diese Bestimmung gezeitigt! Darum habe ich bereits in der vorigen Auflage 
auf die Mißstände hingewiesen und eine ÄAnderung in dem Sinne, daß die Einreichung eines 
Schriftsatzes genügen soll, befürwortet; denn die Partei in ihrem grundlegenden prozessualen 
Rechte davon abhängig zu machen, daß der Gerichtsvollzieher nichts versäumt, heißt: ihre besten 
Rechte aufs Spiel setzen. Dem haben nun auch die Zivilprozeßnovellen von 1905 und 1909 
entsprochen und zuerst für die Revision, dann auch für Berufung und Einspruch die Anderung 
eingeführt, daß hier dasselbe gilt, was bisher von der Beschwerde: die Einlegung erfolgt durch 
Einreichung bei dem Berufungs-, Revisionsgericht bzw. dem Gerichte des Versäumungs- 
verfahrens, so 88 518, (520), 553, (533 a), 340 (340 a), worauf das Gericht die Rechtsmittel- 
oder Einspruchschrift der Gegenpartei von Amts wegen zuzustellen hat. Dies ist eine gewisse 
  
1 Sie durften nur zur Kontrolle einen Notar senden. So auch Statuten von Castellar- 
quato (1445) II 1. Man übergab darum dem vernehmenden Richter genaue Beweisartikel 
und Fragstücke, Kohler, Verfahren des Hof G. Rottweil S. 70. 
Parteihandlungen und Handlungen der Beteiligten im Untersuchungsverfahren. 
* Bgl. Brachylogus IV, 9. Das Libell wurde bei Gericht eingereicht und vom Gerichte zu- 
estellt. In den Statuten galt der Satz, daß in wichtigen Sachen ein libellus eingereicht werden 
13 in minder wichtigen Sachen konnte ohne libellus geklagt werden, Ravenna 14. Jahrh. c. 114 
(bis zu 20 solidi), Fantuzzi, Monum. Rav. IV p. 57, Casale (bis 60 solidi), Mon. hist. 
patr. I p. 943. 
* Prozeßordnung von 1667, Titel II: Des ajournements. 
Encyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band III. 19
	        
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