Zivilprozeß- und Konkursrecht. 291
Bei unserem System, wo der Richter den Termin gibt, während die eine Partei die
andere lädt, hat man leine Sicherheit dafür, daß die Ladung so rechtzeitig erfolgt, als dies im
Interesse des anderen Teiles geboten erscheint. Wenn also beispielsweise der Kläger dem Be-
klagten die Ladung zur ersten Verhandlung zuzustellen hat, so ist keine Sicherheit dafür gegeben,
daß er dies nicht erst am Tage vor dem Termin tut, also zu einer Zeit, wo dem Beklagten nicht
die genügende Vorbereitung mehr gewährt ist. Um diesem übel abzuhelfen, ist, wie bereits
in der hannöverschen ZPO. (§#5 189, 382, 489), das System eingeführt, daß die Zustellung eine
bestimmte Zeit vor dem Termine geschehen soll; man nennt diese Mindestfrist Ladungzfrist,
und in einem Falle, wenn es sich um den ersten Termin handelt, Einlassungsfrist. Diese Mindest-
fristen sind gesetzlich gegeben; jedoch kann der Richter sie aus besonderen Gründen abkürzen.
Die regelmäßige Einlassungsfrist bei Landgerichten ist zwei Wochen, die Ladungsfrist eine Woche
(§6 217, 262 Z PO.).
Noch unmittelbarer ist natürlich die Klageerhebung, wenn sie in der mündlichen Ver-
handlung selbst erfolgt. Dies war im altdeutschen Volksgericht ein häufiger Brauch, wo sich
Kläger und Beklagter als Gerichtsgenossen im Volksgerichte trafen. Im kanonischen Verfahren
fand es statt, wenn der Beklagte auf Grund der Ladung zum Klageerhebungstermin erschien.
Bei uns erfolgt eine mündliche Klageerhebung in seltenen Fällen; regelmäßig nur dann,
wenn eine Klage im Laufe des Prozesses erhoben wird, als Widerklage oder als Inzidentfest-
stellungsklage, d. h. als Klage zur Feststellung eines Präjudizialpunktes, von dem der Klageanspruch
abhängig ist (Ss 280, 281 ZPO.); vgI. auch unten S. 402. Außerdem in zwei Fällen des
amtsgerichtlichen Verfahrens, wenn nämlich:
1. an ordentlichen Gerichtstagen die Parteien freiwillig erscheinen (5 500 B8PO.), was
eine Erinnerung an das germanische Volksgericht ist: die Klage ist hier zu Protokoll zu nehmen;
2. wenn ein Sühneverfahren stattfindet, wozu jeder Teil den anderen (aber ohne Rechts-
nachteil) vor das Amtsgericht laden kann, und wenn dann eine Ausgleichung nicht stattfindet
und der Kläger seine Klage vorträgt (§ 510 8 PO.); auch hier ist die Klage zu protokollieren.
b) Unmittelbarkeit gegenüber dem Gericht.
§ 36. Das Gericht soll die Erklärungen der Parteien oder Dritter nicht durch Mittel-
glieder erlangen, sondern ohne weiteres von den Personen, welche ihm die Belehrungen zu
geben haben. Daher sollen die Parteien oder ihre Anwälte, was sie zu sagen haben, ihm ohne
weiteres und mündlich sagen; ebenso hat das Gericht die Zeugen, Sachverständige und andere
Beweise unmittelbar zu hören; es soll mit den Personen, welche ihm die nötige Auskunft geben,
selbst sprechen und namentlich in der Lage sein, ihnen die nötigen Fragen vorzulegen und sich
die erforderliche Aufklärung zu verschaffen.
Dieses große Prinzip der Unmittelbarkeit rechtfertigt sich von selbst: jeder weiß, daß eine
Vermittlung nur Trübung brächte. Leider kann es nicht durchgehends beobachtet werden: es
gibt Fälle, wo insbesondere die Zeugen nicht vor Gericht gebracht werden können: hier muß
man sich mit der Aushilfe begnügen, daß die Zeugen von einem beauftragten (oder ersuchten)
Richter vernommen werden und die Anwälte darüber dem Gerichte Vortrag erstatten (S§ 355,
375, 285 ZPO.). Heutzutage ist es sogar bei Mehrheitsgerichten die Regel, daß die Zeugen
nicht unmittelbar vernommen werden, sondern durch die Vermittlung eines beauftragten
Richters. Das Verfahren hat sich gegen den Sinn der PO. eingebürgert; es fehlte leider
an einem Mittel, es zu verhindernn und dem Gedanken der ZPO. Geltung zu verschaffen,
da der § 355 Z PO. die Beschwerde ausschließt 1.
Wie die Unmittelbarkeit den Menschen gegenüber gilt, so gilt sie auch gegenüber den
leblosen Sachen: der entscheidende Richter soll eine Augenscheinssache selbst sehen; doch gibt
es auch hier Ausnahmen: der Augenschein wird vielfach durch einen beauftragten (oder er-
* Richter ausgenommen, worauf die Anwälte über das Ergebnis berichten (ss 372, 285
O.).
1 Es ist dieselbe Unnatur wie im gemeinen Prozeß, wo man die Beweise durch Kommissarien
scheben ließ, Bamberg. a. 83, Carol. a. 72, Rottweiler Hof GO. 1572, I, 22, Kohler, Ver-
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