Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

296 J. Kohler. 
Parteien haben; diese Parteien haben überhaupt nur eine prozessualische, keine zivilistische 
Funktion. 
Oder es handelt sich um Interessen, die über das Bereich der Einzelperson hinaus- 
gehen; so im Aufgebotverfahren. Hier kann eine künstliche Partei geschaffen werden, 
um im Wege des Parteiprozesses Verhältnisse zu regeln, die außerhalb des Individualkreises 
liegen, in welchem sich sonst der Parteiprozeß bewegt (§s 957, 974 8PO.). Wenn z. B. der 
für tot Erklärte gegen den Staatsanwalt die Feststellung erwirkt, daß er nicht tot sei, so fungiert 
der Staatsanwalt nur als Figurant, um es zu ermöglichen, daß eine die Todeserklärung 
als unzutreffend darstellende Feststellung ergeht. 
§ 35. Die heutzutage alltägliche Stellvertretung im Prozeß hat längere Kämpfe 
gekostet als die Stellvertretung im Zivilrecht: natürlich, denn namentlich im alten Rechte ist die 
prozessuale Wirksamkeit eine sehr persönliche, und wo Gottesurteile und Eide eine heworragende 
Rolle spielen, da geht es nicht an, daß ein anderer die Prozeßtätigkeit vollzieht und den Prozeß 
auf sich nimmt. Wird aber der Prozeß rationeller, so wird sich die Idee der Stellvertretung 
immer mehr Geltung verschaffen, und von dem älteren System wird nur der Grundsatz übrig- 
bleiben, daß das Gericht, wenn es zu seiner eigenen Belehrung es nötig findet, die Partei selber 
vorfordern kann unter dem einen oder anderen Rechtsnachteil. 
Die Stellvertretung unterscheidet sich von der Prozeßstandschaft wesentlich, da der 
Stellvertreter die Prozeßhandlungen im Namen des Vertretenen ausübt und es bewirkt, 
daß die prozessualen und zivilistischen Folgen unmittelbar auf den Kopf des Vertretenen, nicht 
auf den des Vertreters fallen. Sie unterscheidet sich aber auch von der Stellung des 
procurator des römischen Rechtes; dieser handelte im eigenen Namen, und er handelte auch 
nicht als Prozeßstandschafter, denn durch die Litiskontestation war der materielle Anspruch in 
seinen Anspruch oder in einem Anspruch gegen ihn verwandelt worden: er handelte darum 
nicht für einen fremden Zivilanspruch, sondern für den eigenen; und wenn nachträglich eine 
Ausgleichung erfolgte und das Ergebnis des Prozesses auf den dominus Übertragen wurde, 
so war dies eine zivilrechtliche Ubertragung eines dem procurator erworbenen Rechts oder 
eine zivilrechtliche Ubernahme einer dem procurator aufgebürdeten Pflicht. Diese Absonder- 
lichkeit des römischen Rechts muß deswegen herorgehoben werden, weil im Mittelalter, und 
nach manchen Rechten sogar heutzutage, auf Grund dessen von einem dominium ltis gesprochen 
wurde, kraft dessen der Stellvertreter zum Herrn des Prozesses werde; davon kann heutzutage 
nicht mehr die Rede sein. Aber auch für das heutige Recht ist aus jener Gepflogenheit mehreres 
geblieben; namentlich hat der Satz, daß durch Tod der Partei die Stellvertretung nicht erlischt 
(§ 86 Z PO., vgl. ös 168, 672 BG#.), hierdurch eine wichtige Förderung erfahren. 
Die freiwillige Stellvertretung beruht auf Vollmacht, für welche die Grundsätze des 
bürgerlichen Rechts gelten. Der Nachweis der Vollmacht durch (auf Verlangen) beglaubigte 
Vollmachtsurkunde kann vom Gericht verlangt werden, entweder von Amts wegen (§5 80, 613, 
640, 641) oder nur auf Antrag (F 88 8PO.). Unter Umständen muß sie eine spezielle, besondere 
sein (I# 613, 640, 641 B PO.). 
Die wichtigste Vertretung der Parteien ist heutzutage die Vertretung durch Rechts- 
anwälte. 
Die Rechtsanwälte sind Personen, welche in einer vom Gesetze allgemein zugelassenen 
Weise die Vertretung von Parteien vor den Gerichten übernehmen. Der Anwaltsstand in 
unserem Sinne hat sich im Mittelalter aus dem Stande der Fürsprechen entwickelt, unter Ein- 
wirkung des römischen und romanischen Instituts der gelehrten Rechtsbeistände, der advocati. 
Die Fürsprechen der altdeutschen Rechte hatten allerdings nur eine formale Tätigkeit: sie 
sprach die Prozeßformeln aus und nahmen der Partei die Gefahr des Prozesses ab; 
denn der Prozeß war gefährlich, und wenn eine Form nicht richtig ausgesprochen war, so war 
die Erklärung wirkungslos und konnte nicht wiederholt werden. Späterhin, als die Gefahr 
des Prozesses aufhörte und man den Prozeß mehr rationell behandelte, war es Sache der 
Fürsprechen, in sachkundiger Weise die Erklärung der Parteien vorzubringen, und so entwickelte 
: Im Gegensatz zu den nur bedingt zugelassenen Prozeßagenten (5 157 8O.).
	        
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