Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

298 J. Kohler. 
die in Frankreich als unwürdig gilt, ist nach unserem Gesetze nicht ausgeschlossen und wird durch 
unsere Sitten nicht mißbilligt. Über die Gebühren besteht eine Gebührenordnung ursprünglich 
vom 7. Juli 1879, mit Abänderung vom 17. Mai 1898, vom Reichskanzler 20. Mai 1898 neu 
bekanntgemacht, und mit neuerlichen Abänderungen vom 1. Juni 1909 und 22. Mai 1910. 
Der Beruf der Anwälte steht unter der beruflichen Disziplin des aus der Anwaltskammer 
gebildeten Ehrengerichts und in zweiter Instanz des Ehrengerichtshofs, bei welchem neben den 
Reichsgerichtsanwälten auch Mitglieder des Reichsgerichts tätig sind. 
8. Verhältnis der Parteikampftätigkeit zur richterlichen Betätigung. 
§& 37. Der geistige Kampf erfolgt in der juristischen Form eines Rechtsverhältnisses, wie 
noch unten (S. 306 f.) darzulegen ist. Daraus ergibt sich aber für unsere Frage folgendes 1: 
Ist der Zivilprozeß ein Rechtsverhältnis, so muß er durch ein Rechtsgeschäft erregt werden; 
dieses Rechtsgeschäft ist regelmäßig die Klage: die Klage aber ist ein einseitiges ankunfts- 
bedürftiges Rechtsgeschäft, bestehend in einer klägerischen Willenserklärung. 
Daß also eine Parteitätigkeit den Prozeß ins Leben ruft, ist eine Erscheinung, die den 
Grundsätzen des Rechtsverhältnisses entspricht und überall im bürgerlichen Recht ihre Ahnlich- 
keiten hat. Es ist daher völlig abwegig, wenn man den Grundsatz Judexneprocedat 
ab officio“, „ohne Kläger kein Richter“, als speziellen Prozeßgrundsatz hat aufstellen wollen: 
er ist in der Rechtsverhältnisnatur des Prozesses begründet. Er beruht auch schon auf der 
Kampfnatur des Prozesses; denn der Staat hat kein Recht, zwei Teile, die Frieden haben 
wollen, in Kampf zu setzen. 
Ebenso versteht es sich von selbst, daß das Rechtsverhältnis nicht über dasjenige hinaus- 
gehen darf, was durch die Klage als Rechtsgeschäft umfaßt wird. Die Klage ist ein Rechtsgeschäft, 
welches einen bestimmten Inhalt als das Ziel seines Strebens kundgibt; ist aber dies der Fall, 
so ist es klar, daß nur der in der Klage angegebene Inhalt zum Gegenstand des Prozeßverhält- 
nisses wird, und daß dieses daher nicht über das Klagebegehren hinausgehen darf; denn das 
Rechtsverhältnis darf nicht weiter gehen, als das Rechtsgeschäft es erheischt. Daraus ergibt 
sich für jeden durch Klage erhobenen Prozeß der Satz „nudex ne eat ultra petita 
actoris“; so 8 3080 3PO.; — die Ausnahme, die hier für den Prozeßkostenersatz besteht, ist 
in der Tat keine Ausnahme, wie bereits oben S. 292 erwähnt wurde. 
Daraus geht ferner hewor: gibt der Kläger die Klage auf, so kann das Gericht nicht 
weiter fortfahren; es hat nur den Prozeß insofemn weiterzuführen, als nötig, um das geschaffene 
Rechtsverhältnis zu lösen. 
Was aber die Stellung des Beklagten betrifft, so gilt nicht das gleiche: es gilt nicht der 
Satz, daß ein Prozeß nur stattfindet, wenn der Beklagte streiten will; es gilt nicht der Satz, 
daß ein Prozeß nur insofern stattfindet, als der Beklagte streiten will. Das Prozeß- 
verhältnis wird durch einseitiges, nicht durch zweiseitiges Rechtsgeschäft eröffnet. Anders 
war es vielfach in früherer Zeit; es war germanischer Grundsatz gewesen, daß der Prozeß 
nur durch Urteilsgelöbnis des Beklagten erledigt werden könne, also nur, wenn der Beklagte 
mitwirkt. An Stelle des Gelöbnisses trat im kanonischen Recht die an einem bestimmten 
Termin vorzunehmende Litiskontestation (Streiteinlassung): diese Einlassung aber war eine 
heilige Pflicht, und der Beklagte, welcher sich ihr entzog, wurde von der Bürgergemeinschaft 
oder von der Gemeinschaft der Kirche ausgeschlossen. 
Diesen Standpunkt haben wir aufgegeben: wir gestatten einen Prozeß auch ohne Zutun 
des Beklagten. Eine sogenannte Einlassungspflicht des Beklagten haben wir daher nicht; der 
Beklagte kann (wenn er die Vermögensfolgen tragen will) mit gutem Gewissen ausbleiben. 
Wie aber, wenn der Beklagte eintritt, aber den Klaganspruch anerkennt? Diese Frage ist 
nicht gleichheitlich zu beantworten, sondem, mit Unterscheidung zwischen Vermögens- und 
Familienprozeß. Darüber S. 300 f. 
Anders verhält es sich mit der Sammlung des Rechtsstoffes. Wenn im Prozesse entschieden 
werden soll, so müssen dem Richter Tatsachen vorgelegt werden, und der Richter hat zu prüfen: 
1 Prozeß als Rechtsverhältnis S. 17 f. 
 
	        
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