Zivilprozeß- und Konlursrecht. 299
1. ob aus diesen Tatsachen das Klagebegehren hervorgeht;
2. ob diese Tatsachen begründet sind.
Zum Nachweis des letzteren können die sogenannten Beweismittel dienen. Es fragt
sich nun, ob der Richter von sich aus Tatsachen berücksichtigen, ob er von sich aus Beweise herbei-
ziehen und erheben kann.
Diese Frage ist nicht mit der Frage zu verwechseln, ob der Richter nur die ihm als Richter
zugekommenen Tatsachen und Beweise berücksichtigen darf #, oder auch diejenigen, welche ihm.
als Privatmann zukommen. Hier sprechen überwiegende Gründe dafür, daß er nur zu berück-
sichtigen hat, was ihm als Richter zukommt, und wenn er etwa als Privatmann freiwilliger
oder unfreiwilliger Zeuge eines für den Prozeß wichtigen Geschehens war, so ist es seine Sache,
dieses als Zeuge zu bekunden und nicht es als Richter zu würdigen, vgl. § 41 Z. 5 8PO.
Eine andere Frage ist, ob er das, was ihm als Privatmann zukommt, in seinen richter-
lichen Kreis ziehen kann, so daß er es als Richter wahrnimmt und als Richter berücksichtigt.
Im Strafprozeß und Verwaltungsprozeß ist dies sicher der Fall; im Zivilprozeß hat man es
nur allmählich und zögernd zugelassen. Man hat hier zu unterscheiden zwischen Tatsachen und
Beweismitteln, und von den Tatsachen kommen zunächst die notorischen Tatsachen in Betracht.
Notorische Tatsachen kommen dem Richter stets nicht nur als Privatmann, sondern auch
als Richter zu; denn was so allgemein bekannt ist, daß es jeder, der einem bestimmten Kreise
angehört, im regelmäßigen Laufe der Dinge wissen muß, das ist dem Richter natürlich auch in
seiner Eigenschaft als Richter bekannt; allerdings kommen bei dem notorium auch die speziell
gerichtskundigen Tatsachen in Betracht, und als gerichtskundig ist alles anzunehmen, was dem
Richter in seiner Eigenschaft als Richter bekannt wird, sei es auch in einem anderen Preozesse,
oder sei es in einer anderen Funktion z. B. als Organ der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Hierbei
ist noch folgendes in Betracht zu ziehen: Was dem Richter nicht notorisch ist, kann anderen Leuten
notorisch sein. Die anderwärtigen notorischen Tatsachen sind natürlich nicht gerichtskundig,
aber der Richter kann, wenn im Laufe des Verfahrens ihm bekannt wird, daß derartige Tat-
sachen bei anderen Leuten notorisch sind, über diese Notorietät einen Beweis erheben. Wenn
man daher begauptet hat, daß ein Beweis über notorische Tatsachen ausgeschlossen sei, so ist
dies vollkommen unrichtig.
In bezug auf die nichtnotorischen Tatsachen ist zu unterscheiden: 1. Alles, was im Laufe
des Prozesses zur Kenntnis des Richters gelangt, kommt dem Richter als Richter zu und kann
von ihm berücksichtigt werden, also beispielsweise auch eine Tatsache, die ein Zeuge erzählt:
diese kann der Richter berücksichtigen, auch wenn sie von keiner Partei behauptet worden ist;
z. B. die Parteien haben über die Frage der Hingabe des Darlehens gestritten und die Rück-
zahlung war gar nicht behauptet worden; der vom Richter vernommene Zeuge sagt, er habe ge-
sehen, wie das Darlehen zurückbezahlt worden sei: der Richter hat die Rückzahlung zu be-
rücksichtigen. Andere nicht notorische Tatsachen, die der Richter als Privatmann erfährt, können
nur dann dem Richter als Richter zukommen, wenn er etwa im Prozeß die Parteien darüber
befragt, und wenn auf Grund dessen darüber verhandelt wird; denn dann sind sie vor Gericht ge-
zogen worden. Sollte der Richter aber diese Talsachen als Zeuge wahrgenommen haben, dann
ist er als Zeuge, nicht als Richter im Prozeß zu verwenden.
Eine sehr wichtige Bestimmung der Prozeß O. ist, daß, wenn beide Parteien über eine
Tatsache übereinstimmen, der Richter die Tatsache annehmen soll, & 288. Der Grund liegt
aber nicht darin, daß etwa die Parteien dem Richter eine solche Situation aufdrängen
dürfen, auch nicht darin, daß der Richter für den Frieden der Parteien wirken und sie daher da
nicht auseinandertreiben soll, wo sie übereinstimmen?; sondern der Grund liegt darin, daß
der Richter in einem solchen Falle keinen Grund hat, das Gegenteil anzunehmen, und regel-
mäßig wird es ihm auch kaum möglich sein, von sich aus Nachforschungen anzustellen, um die
Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Parteibehauptungen zu kontrollieren. Ein Verlangen des
1 Über diese schon bei den Glossatoren viel behandelte Frage val. meine Abhandl. im Arch.
f. Strafrecht 60 S. 206 f. und in d. Rhein. Zeitschrift VI S. 1 f.
* Wie Pa 8 ensteche r Zur Lehre der materiellen Rechtskraft S. 216 annimmt; denn
über allem steht das Prinzip der Wahrheit.