Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

Zivilprozeß- und Konkursrecht. 301 
Rechtswidrigkeit verbirgt. Der Grundsatz der Kongruenz oder des Zusammenstimmens der 
Erklärungen aber½ besteht in folgendem: Das Tatsachenvorbringen des einen muß stets von der 
anderen Seite eine Erwiderung erfahren; der darin enthaltene Angriff muß zurückgewiesen 
werden, da sonst der Angriff unpariert sitzen bleibt und daher die Tatsache so angesehen wird, 
als wäre sie dem Gegner gegeüber festgestellt. Dies gilt indes nur dann, wenn die Tatsache 
unbeantwortet bleibt; die Beantwortung kann aber auch nachträglich erfolgen, auch in höherer 
Instanz, und dann fällt diese Wirkung weg. Auch kann die Beantwortung nicht nur aus- 
drücklich, sondern auch stillschweigend geschehen; man darf daher den Grundsatz der Kongruenz 
nur dann anwenden, wenn nicht aus dem ganzen Verhalten des Gegners eine Leugnung der 
Tatsache hervorgeht: dies ist dem richterlichen Ermessen anheimgegeben; und da es zudem Pflicht 
des Richters ist, in solchen Fällen zu fragen und eine ausdrückliche Erklärung zu erwirken, so 
wird das Gebiet dieses Grundsatzes mehr und mehr eingeengt. Er stammt aus dem kanonischen 
Rechte: hier galt zunächst der Grundsatz, daß derjenige, der auf die Positionen, d. h. auf die in 
jedem Prozesse üblichen Einzelbehauptungen, nicht erwiderte, durch Strafe zur Erwiderung 
angehalten wurde 2; seit Bonifatius VIII. strafte man nicht mehr, sondern man ließ dasjenige 
eintreten, was man poena conlessi 3 nannte; diese hatte allerdings im kanonischen Recht ihren 
festen Hintergnund, weil der Kläger die Positionen zu beschwören pflegte, wodurch dieses 
Verfahren gegen den Beklagten noch besonders gerechtfertigt wurde. Nach der ZPO. gilt 
der Satz bezüglich der Tatsachen, er gilt auch bezüglich der Privaturkunden, denn das Nicht- 
bestreiten gilt als Zugeständnis der Echtheit (Ss 138, 439 8PO.). 
Und ebenso entsteht eine Rechtslage, wenn die Partei eine Urkunde, welche sie vorlegen 
soll, nicht vorlegt: die Behauptungen des Gegners über Inhalt und Beschaffenheit der Urkunde 
können als richtig angenommen werden (§ 427 ZPO.), d. h. der Richter hat sie als richtig an- 
zunehmen, wenn er keine Gründe für das Gegenteil findet. Dasselbe muß von Augenscheins- 
gegenständen gelten; und das gleiche gilt, wenn eine Partei arglistig eine Urkunde beseitigt 
hat (s 444 3PO.). 
#§ 40. Bei dem Versäumnis des Beklagten geht die Rechtsordnung entweder davon aus, 
daß ohne Zutun der Parteien, namentlich auch des Beklagten, kein Prozeß möglich sei (S. 298): 
dann muß man den Beklagten mit möglichst strengen Mitteln zum Erscheinen zwingen, soll das 
Recht nicht ein toter Buchstabe bleiben und einfach in die Gnade des Schuldners gestellt sein. So 
war das fränkische Verfahren, so das kanonische: man zwang den Schuldner durch Friedlos- 
erklärung, Exkommunikation, durch Vermögenseinweisung des Klägers (possessio tedialis) usw. 
Oder aber man führt den Prozeß zu Ende, auch wenn der Beklagte nicht erscheint, so 
daß man also auf einseitige Klage hin das Prozeßverhältnis zur Abwicklung bringt. Das 
konnte schon im römischen Rechte unter bestimmten Umständen geschehen; jedoch war der Rechts- 
gang in solchem Fall ein äußerst langwieriger. Im Mittelalter hat sich dieses System in den 
italienischen Städten entwickelt; durch die berühmte Clementina Saepe von 1306 ist es für eine 
große Reihe von Prozessen gebilligt worden, und die Bestimmung dieser Clementina ist bald 
darauf mehr oder minder allgemein geworden. Im Reichskammergerichtsprozeß allerdings 
bestand das doppelte System, das System der Beugung des Schuldners und das System der 
einseitigen Prozeßführung, nach Wahl des Klägers bis zum Jahre 1654 fort; im jüngsten Reichs- 
abschied aber wurde das Beugesystem (für die Regel) aufgehoben, und das System der einseitigen 
Durchführung des Prozesses war nun das einzige “. 
  
1 Von mir auf#gestellt im Prozeß als Rechtsverhältnis, S. 46 f. 
„ Tancredus de ord. jud. 1II § 4: Alum non condemnandum tanquam confessum, 
sed tanquam contumacem ad arbitrium judicis puniendum. 
„ Haberi debet super üs, de quibus in eisdem positionibus interrogatus extitit, pro con- 
fesso, c. 2 in 6° de confessis (2,9). Vorherige Befragung war mithin erforderlich. erdings 
noch 1445 findet sich in den Statuten von Ca stellarquato II 57 die Bestimmung, daß der 
potestas bei Nichtbeantwortung der positiones den Säumigen compellere teneatur . muletam 
indicendo, pignora capiendo, personam detinendo ; so auch 139; ähnlich in Piace n za II 53 
(Mon. hist. ad prov. Parm. pert. 1 6 p. 285). 
Einzelheiten der Entwicklung in „Ungehorsam und Vollstreckung“ S. 56 ff. Die dortigen 
Beispiele können vermehrt werden. Die bo asessio tedialis als Zwangsmittel findet sich # in omo 
1211 a. 194, 200, 297 (Mon. h. patr. XVI p. 77, 116); in Casale (im 14. Jahrh. M. h. p. I
	        
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