312 J. Kohler.
4. der Satz, daß, wer im Augenblick der Rechtshängigkeit Partei ist, regelrecht während
des ganzen Prozesses Partei bleibt (S. 334). Und dem entspricht es auch, daß ein vorehelich
begonnener Prozeß vom Ehegatten während der Che fortgesetzt wird ohne Rücksicht auf das
eheliche Güterrecht, ebenso ein von der Ehefrau zur Zeit, als sie ein Erwerbsgeschäft betreiben
durfte, begonnener Prozeß, auch wenn sie nachträglich diese Befugnis verloren hat (§§ 741, 742
ZPO., I§ 1407, 1439, 1454, 1525, 1549, 1550 BGB.).
2. Zivilrechtliche Seite.
&*52. In Ron hatte die Rechtshängigkeit eine merkwürdige Wirkung: das bürgerliche
Recht, wie es bisher war, ging unter, und ein neues Recht entstand, allerdings ein Recht, das
von num an sich nur im Prozeß entwickeln und seinen Ausgang nehmen konnte. Die Römer
kamen zu dieser eigentümlichen Gestaltung durch die scharfe Abgrenzung, welche sie in allen
ihren Rechtsinstituten erstrebten: der Gedanke, daß das ursprüngliche Recht bestehen bleibe,
und daß nun doch im Prozesse dieses Recht einer prozessualen, von den Grundsätzen des Zivil-
rechts abweichenden Beherrschung unterliege, war ihnen unerträglich.
Uns ist eine solche Doppelherrschaft wohl begreiflich: wir nehmen an, daß das Recht trotz
der Klage bestehen bleibt, daß es aber im Prozeß wesentlich durch öffentlich-rechtliche Faktoren
beeinflußt wird, wie ja auch sonst das Privatrecht dem Einfluß öffentlich-rechtlicher Mächte
unterliegt.
Bei uns zeigt sich diese Wirkung auf das bürgerliche Recht vor allem im Urteil; aber auch
schon vorher wirkt die Rechtshängigkeit ein, und zwar gilt folgender Gedanke 1:
Es wäre das Ideal des Prozesses, wenn das Urteil bereits im Augenblick des Prozeß-
beginns ergehen könnte; der Zwischenraum bis zum Urteil ist ein unlogisches Moment, hervor-
gerufen durch die menschliche Schwäche, denn der Menschengeist verlangt längere Zeit, um
zur Wahrheit zu gelangen. Dieses Moment können wir nicht verbannen; allein immerhin kann
die Rechtsordnung sagen, der Beklagte solle so weit verpflichtet werden, daß möglichst das Er-
gebnis entsteht, als wäre er schon in diesem Augenblick mit der Verpflichtung belastet worden,
den Kläger zu befriedigen. Daher haftet der beklagte Besitzer der streitigen Sache von dicsem
Augenblick für Sorgfalt, für Früchte, und zwar nicht nur für die gezogenen, sondern auch für
die nach den Regeln der Wirtschaft zu ziehenden Früchte; daher tritt auch die Unterbrechung
der Verjährung und der Ersitzung ein; daher auch die Verpflichtung zur Zahlung der Prozeß-
zinsen, auch ohne daß Verzug vorliegt (§s§s 209, 291, 292, 941, 987 f. BGB.), daher die Be-
stimmung der §§ 1422, 1425, 1479, 1548 BGB.
Eine weitere Folge ist die, daß ein auf Geld gehender Anspruch des Persönlichkeitsrechts
mit dem Augenblick der Rechtshängigkeit zu einem Forderungsrecht wird, ähnlich, wie wenn
die Summe im Augenblick der Rechtshängigkeit bezahlt und dem Beklagten als Darlehen belassen
worden wäre; daher wird vom Augenblick der Klage zu einem gewöhnlichen Geldanspruch
1. der Anspruch auf Genugtuung (§§ 847, 1300 BGB.),
2. der Pflichtteilsanspruch (§ 852 Z8 PO.),
3. der Anspruch auf Herausgabe von Geschenken wegen Verarmung (§ 852 ZPO.).
V. Entwicklung des Prozeßverhältnisses.
1. Allgemeines.
§ 53. Das Prozeßrechtsverhältnis entwickelt sich durch Prozeßhandlungen der Parteien
und des Gerichts?; es entwickelt sich auch durch Rechtsereignisse. Prozeßhandlungen
der Parteien sind vor allem die Stellung von Anträgen, das Vorbringen von Tatsachen
und von Beweisen; diese Tätigkeiten sind Rechtshandlungen, denn sie bewirken ein Fortschreiten
—
1 Z. f. Zivilprozeß XXIX, S. 6f.
* Prozeß als Rechtsverhältnis S. 46 f., 49 f.