Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

320 J. Kohler. 
Zeugenaussagen zieht, sind rein tatsächlicher Natur; sie erfolgen nach den Regeln der Lebens- 
klugheit und Lebenserfahrung, und ihre Wirkung kann nur die Überzeugung des Richters sein. 
Die Beweismittel sind prozessualische Hilfsmittel, um im Laufe des Prozesses die 
Überzeugung des Richters zu erregen, indem sie ihm Gründe geben, um das eine oder andere 
anzunehmen; diese Gründe heißen Beweisgründe, und das Wesen der Beweismittel besteht 
darin, daß hierdurch dem Richter Beweisgründe geboten werden. 
Die Beweisgründe können wir in folgender Weise ordnen: 1. sie können liegen in der 
eigenenu sinnlichen Wahrnehmung des Richters: was der Richter im Laufe 
des Prozesses sieht (hört usw.), wird er wohl für wahr halten. Sie können aber auch 2. liegen 
in der sinnlichen Wahrnehmung eines Dritten: was der Dritte sinnlich 
wahrgenommen hat, wird der Richter zwar nicht notwendig für richtig halten, denn die Wahr- 
nehmung des Dritten kann in der verschiedensten Weise getrübt sein; aber jedenfalls wird dies 
für den Richter ein Anlaß sein, die Tatsache eher anzunchmen als nicht. 
Neben dieser Wahrnehmung des Dritten steht 3. das technische Befinden 
eines Dritten. Sofern nämlich ein Dritter aus einer technischen Untersuchung eine 
UÜberzeugung schöpft, wird dies ebenfalls für den Richter ein bedeutender Beweisgrund sein 
können, sofern er an die Technik und ihre Ergebnisse glaubt, auch wenn es ihm mangels technischer 
Vorkenntnisse nicht möglich ist, die Untersuchung nachzuprüfen. Ferer kann vor allem 4. das 
Geständnis einer Partei, d. h. ihre Erklärung über eine ihr ungünstige Tatsache, 
für den Richter ein Beweisgrund sein, nach dem psychologischen Grundsatz, daß niemand 
sich gern etwas Ungünstiges andichten wird, daß also in einem solchen Falle regelmäßig das 
Wahrheitsgefühl willkürlich oder unwillkürlich zutage tritt. 
Diesen benannten Beweisgründen stehen 5. die unbenannten entgegen. Es sind das 
alle diejenigen, die man unter dem Ausdruck „Indizien oder Anzeichen“ zusammen- 
faßt, und deren Bedeutung eben gerade darin liegt, daß von einer Tatsache auf die andere ge- 
schlossen werden kann, weil hier ein mehr oder minder sicheres Ursachenverhältnis besteht. Dieses 
Indizienwesen hat im Strafprozeß eine besondere Entwicklung gefunden: die Italiener haben. 
es hier sorgfältig entwickeltt Schwarzenberg hat ihm in der Bambergensis, das Reichs- 
recht in der Carolina eine ausführliche Darstellung gegeben; es ist aber auch im Zivilprozeß von 
der allergrößten Bedeutung. 
Jedes Beweismittel kann die verschiedensten Beweisgründe bieten; selbstverständlich 
sind diese Gründe nicht gleichwertig. Von der größten Bedeutung wird die eigene Sinnes- 
wahrnehmung des Richters sein, von sehr verschiedener, vielleicht von nur loser Bedeutung der 
Indizienbeweis. Danach spricht man von Beweiskraft: man sagt, daß das Beweismittel 
eine größere oder geringere Beweiskraft habe. Außerdem aber kann der Beweisgrund in mehr 
oder minder sicherer oder getrübter Weise aus dem Beweismittel hervorgehen: hier spricht man 
von Zuverlässigkeit des Beweismittels. Beides kommt in Betracht; die 
Bedeutung eines Beweismittels liegt a) in seiner Beweiskraft, b) in der Zuverlässigkeit, mit 
der es diese Beweiskraft zu verschaffen vermag. Hiernach kann z. B. eine Urkunde die aller- 
verschiedenste Beweiskraft bieten; so hat z. B. das eigenhändige Testament sehr starke Beweis- 
kraftnatur, während ein Brief, aus dem auf den Sinn einer Bestimmung des Testaments ge- 
schlossen werden soll, vielleicht recht minderwertig ist und nur ein loses Anzeichen gewährt. 
Dagegen kann wiederum z. B. das vorgelegte Testament in seiner Echtheit bestritten sein, so 
daß die Zuverlässigkeit der Urkunden notleidet, während der Brief mit geringer Beweiskraft 
zweifellos echt sein kann. Natürlich wird das beste Beweismittel unbrauchbar, wenn seine Zuver- 
lässigkeit nicht hergestellt werden kann, und umgekehrt wird das zuverlässigste Beweismittel 
für den Prozeß bedeutungslos sein, wenn aus ihm nichts zu entnehmen ist. Beide Dinge werden 
in der Prozeßdarstellung gewöhnlich heillos durcheinandergeworfen, und darin liegt vor allem die 
Verwirrung in unserer Beweislehre. 
(7) Beweismittel im einzelnen. 
§ 62. Die Beweismittel sind: Augenscheinsgegenstand, Urkunde, Zeugen, Sachverständige. 
Dazu kommt noch das bei uns ganz formal entwickelte Beweismittel des Eides. 
Augenschein als Beweismittel ist nicht die Augenscheinstätigkeit, sondern der zu
	        
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