Zivilprozeß- und Konkursrecht. 327
liche Darstellung als Beispiel: viel leichter ist es, eine Wahrheit auf drei Seiten zu sagen als in
e inem Satze; sagt man sie in einem Satze, so muß man eine Erläuterung geben, die den ver-
schiedenen Wenns und Abers gerecht wird 1.
Der von dem Richter von Amts wegen aufzulegende Eid hat übrigens eine längere Ent-
wicklung hinter sich. Im Mittelalter wollte man bestimmte Kennzeichen finden, ob der Eid
dem Beweispflichtigen oder dem Gegner des Beweispflichtigen aufzuerlegen sei; im ersten
Falle sprach man von einem iuramentum suppletorium, im letzten von einem juramentum
purgatorium. Wann das eine oder andere? Früher unterschied man zwischen geringen und
wichtigen Sachen und legte in ersteren das suppletorium auf, in letzteren das purgatorium;
auch machte man noch mehrere andere Unterschiede. Bartolus aber vertrat bereits den
Unterschied, daß es darauf ankomme, ob mehr oder weniger Beweis erbracht sei (suppletorium —
purgatorium), ein Unterschied, der später allgemein herrschend wurde .
Eine Art dieses richterlichen Eides ist der Würderungseid oder Schätzungseid, welchen
der Richter dem Beweisführer über die Höhe des Schadens auferlegen kann, in der Art, daß
das Gericht nicht eine bestimmte Summe in den Eid stellt, sondern nur einen Höchstbetrag, bis
zu dem hinauf die Partei schwören kann (5 287 ZPO.) 4.
V. Rechtslagen.
§ 63. In jedem Rechtsverhältnis entwickeln sich Rechtslagenz; die Rechtslage ist
nicht Recht; sie ist aber eine für die Rechtsbildung maßgebende Lage der rechtlichen Dinge.
Solche Rechtslagen ergeben sich von selbst dadurch, daß der Prozeß ein Verfahren bildet, ein
Verfahren innerhalb eines Rechtsverhältnisses. Wie bei einem technischen Verfahren das Er-
gebnis oft erst durch eine Reihe von Mittelstufen gefunden wird, wobei diese Mittelstufen feste
Abstufungen bilden, die, einmal erreicht, zum Ausgang weiterer Erfolge werden, so ist es auch
auf dem Gebiete des Rechts. Wir können auch im Bereich der Rechtsverhältnisse nicht alles
auf einmal schaffen; auch hier arbeiten wir stufenweise einem gewissen Ziele zu. Jede Stufe
verlangt ein bestimmtes Maß an Tätigkeit und ein bestimmtes Maß an Intelligenz; die Stufe
aber muß fest bezeichnet sein durch ein bestimmtes Maß von Rechtsfolgen: denn von hier soll
man rechtlich weitersteigen, und man soll das Ergebnis dieser Stufe ein= für allemal als Er-
gebnis behandeln. Würde man dies nicht tun, so müßte man immer und immer wieder jede
Frage von neuem aufwerfen und alles immer und immer wieder von neuem prüfen.
Solche Rechtslagen führte im gemeinen Prozeß vor allem die sogenannte Eventual-
maxime herbei: der Prozeß wurde schablonenmäßig in verschiedene Stufen zerlegt, und wenn
eine Stufe überschritten war, so war alles ausgeschlossen, was auf dieser Stufe hätte gebracht
werden sollen. Eine andere Scheidung war die in das tatsächliche und in das Beweisverfahren:
in jeder dieser Hälften gab es wieder einzelne Stufen mit Ausschlußwirkung.
1 Daher auch der Vorbehalt des R., daß über hypothetische Entschließungen der Partei
kein Eid auferlegt werden kann, weil es sich hier nicht um eine Tatsache handle, RG. 22. 2. 1906
Entsch. 62 S. 415.
„ Durantis II 2 de juram. delat. § 1, Nr. 3 f.
* Zu fr. 31 de jurejur. (12, 2): Aut actor habet pro se tantum, quod facit suspitionem, non
autem facit praesumptionem vel semiplenam probationem, et tunc sibi nunquam defertur jura-
mentum . sed isto casu defertur reo ad purgationem seu defensionem sui. ; sed defertur
actori . . si vero actor haberet pro se semiplenam probationem, hoc est tantum quod judicem
adducat ad opinionem ... Vgl. auch Zimmermann, Glaubenseid S. 229 f.; auch Po-
thier vr. 829 f. Ubrigens findet sich schon in einigen Stadtrechten ein freierer Standpunkt,
z. B. Como (1281) a. 297: detur sacramentum a judice actori vel reo, secun dum quod
sibi videbitur
563 1 N Eid ist römisch-rechtlich, findet sich auch in den italienischen Statuten, z. B. Rom
136 81.
* Uber diesen Rechtsbegriff habe ich zuerst gehandelt in Gruchot XXXI, S. 616 f. (Ge-
sammelte Beiträge S. 219), in „Prozeß als Rechtsverhältnis“ S. 62 f. und im Jurist. Literatur-
blatt X, S. 134. Ich sprach früher von rechtlichen Situationen, was ich hiermit verdeutsche. Der
Gedanke ist natürlich seinerzeit von rechts und links angefeindet, jetzt aber ziemlich allgemein.
anerkannt und auch außerhalb des Zivilprozesses als Konstruktivmittel verwendet worden. Vgl.
Kormann, System der rechtsgeschäftlichen Staatsakte S. 108.