328 J. Kohler.
Dieses ganze System haben wir beseitigt. Was gebracht werden kann, kann im ersten
wie im letzten Teil des Termins und, wenn mehrere Termine aufeinanderfolgen, im ersten
wie im letzten Termin gebracht werden. Das Verfahren bleibt „flüssig“ bis zu Ende; dies gilt
vom tatsächlichen wie vom Beweisvorbringen (S§ 278, 283 3#O.).
Nur folgende Ausnahmen bestehen:
1. Die eigentlichen prozeßhindemden Einreden (also § 274 Z. 5 und 6) müssen vor der
Verhandlung zur Hauptsache gebracht werden; es müßte denn der Fall der Einrede erst später
eintreten (+ 111 8PO.) oder die Einredetatsachen erst später bekannt werden (88 274, 528 3P0O.).
2. Im sogenannten Rechnungsprozeß wird auf die Eventualmaxime zurückgegriffen,
d. h. wenn es sich um gegenseitige Rechnungsposten handelt. Hier werden die Parteien im
Landgerichtsverfahren an einen beauftragten Richter geschickt, welcher ihr tatsächliches und
Beweismaterial zu Protokoll aufnimmt; und zwar gilt dies in der Art, daß, was versäumt ist,
nur ausnahmsweise nachgebracht werden kann, weshalb auch einc besondere Art der Ver-
säumnisbehandlung stattfindet, und zwar von Amts wegen (88 349 ff. 3PO.). Erst nach Er-
ledigung dieses Verfahrens kehrt man vor das fungierende Gericht zurück, bei dem ausf Grund
dieser Feststellungen verhandelt wird.
Abgesehen von diesen Fällen haben wir ein solches schablonenhaftes System der Rechts-
lagen nicht mehr. Allerdings ist bei unserem System eine Verschleppung möglich, und man
hat die Aufhebung der Eventualmaxime nicht selten für die Prozeßverschleppungen, über die
ja jedes Zeitalter geklagt hat, verantwortlich gemacht.
Indes gibt die Gesetzgebung folgende Mittel, um auf die Parteien oder Anwälte einen
Zwang auszuüben:
1. Die arglistige Verschleppung kann den Rechtsanwalt disziplinar verantwortlich machen;
2. im Fall einer verschuldeten Verschleppung kann eine Verschleppungsgebühr berechnet
werden (§ 48 des Gerichtskostengesetzes)
3. das Gericht kann der Partei, welche sonst die Prozeßkosten nicht oder zu einem
kleineren Teile zu tragen hätte, im Fall der schuldhaften Verschleppung die Prozeßkosten ganz
oder teilweise aufbürden (§ 278 8 PO.);
4. Das Gericht kann a) im Fall der arglistigen oder grob-schuldhaften Verschleppung
von Verteidigungsmitteln durch den Beklagten das Verschleppte auf Antrag zurüchkveisen (§ 279
ZPO.); unter den gleichen Bedingungen können b) verspätete Zeugen oder solche verspätete
Urkunden, die nicht sofort vorgelegt werden, auf Antrag zurückgewiesen werden, sei es, daß sie
vom Kläger, sei es, daß sie vom Beklagten herrühren (§§374, 433 8 PO.). Allerdings ist hierdurch
das Nachbringen in zweiter Instanz nicht ausgeschlossen; wohl aber ist, wenn die Zurückweisung in
zweiter Instanz stattfindet, ein Nachbringen in dritter Znstanz unmöglich, abgesehen davon, daß
sich nicht jede Sache zur dritten Instanz eignet. Hier wird aber, was die Verteidigungsmittel (a)
betrifft, durch die Möglichkeit eines Nachverfahrens geholfen (§ 540 8PO.). Vgl. unten S. 353.
Es ist nun kein Zweifel, daß diese Hilfsmittel nicht wirksam genug sind. Sie sind es
schon deshalb nicht, weil das Haupthilfsmittel unter 4. nur auf Antrag stattfindet, solche An-
träge aber von Anwalt zu Anwalt einen gewissen gehässigen Charakter annehmen.
Im übrigen helfen die Geldbußen nur dann, wenn sie den Rechtsanwälten besonders
aufgelegt werden, nicht den Parteien; nur daß sich die Rechtsanwälte an den Parteien erholen
könnten, falls diese an der Verschleppung Schuld tragen. Sie belfen aber auch deshalb nicht
viel, weil die Hauptverzögerungen dadurch herbeigeführt werden, daß die Rechtsanwälte ge-
meinschaftlich ausbleiben oder gemeinschaftlich die Verlegung oder Vertagung der Termine
begehren. Hiergegen gibt es nur folgende Abhilfsmittel: 1. für jeden Vertagungsantrag, der
nicht eine bestimmte Zeit vor dem Termin kundgegeben wird, und für jedes Ausbleiben beider
Rechtsanwälte eine Anwaltsbuße festzusctzen, die nur dann fortzufallen hätte, wenn der Anwalt
für die zögernde Tätigkeit die Zustimmung seiner Partei erbringt oder sie in vollgenügender
Weise rechtfertigt; oder auch 2. zu verordnen, daß eine auf solche Weise verschleppte Sache erst
nach drei Monaten wieder gebracht werden darf (wie in Osterreich) 1.
Vgl. darüber meine Abhandlung in der Rhein. Zeitschr. III S. 4f.