Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

Zivilprozeß- und Konkursrecht. 329 
Ist mithin die schablonenhafte Folge von Rechtslagen mit ausschließender Wirkung in 
unserem Prozeß als Regel nicht mehr in Ubung, so gibt es nichtsdestoweniger eine Reihe be- 
deutsamer Rechtslagen. Solche Rechtslagen können entstehen a) von selbst; so gilt ins- 
besondere 1. der Satz, daß, wenn bei der ersten materiellen Verhandlung die Zuständigkeit des 
Gerichts nicht bestritten worden ist, das Gericht zuständig wird (mit einigen Besonderheiten 
und Ausnahmen (§§ 39, 528 Z PO.). Ebenso kann 2. infolge des Nichtvorbringens von prozeß- 
hindernden Einreden die Einrede versäumt und das Gegenrecht erloschen sein, wenigstens 
relativ, soweit nicht davon Ausnahmen gelten (oben S. 328). Ebenso ist 3. die Klageänderung 
gerechtfertigt, wenn der Beklagte nicht widerspricht (§ 269 8 PO.), und endlich 4. werden heil- 
bare Mängel des Prozesses geheilt, wenn sie nicht in der nächsten mündlichen Verhandlung 
gerügt werden (§ 295 ZPO.). Dies ist von der größten Erheblichkeit: der Formalismus des 
Prozesses wird dadurch wesentlich abgestumpft. 
Die Rechtslage kann aber auch eintreten b) infolge einer Gerichtstätigkeit: infolge 
eines richterlichen Beschlusses oder eines Urteils (Zwischenurteils). Der richterliche Beschluß 
kann eine einstweilige schwankende Rechtslage bewirken, d. h. eine solche, die eine künftige 
Abänderung nicht ausschließt: eine Reihe von Beschlüssen ist abänderlich, so z. B. der Beweis- 
beschluß, d. h. der Beschluß, welcher erklärt, welche Beweismittel erhoben werden sollen. Ge- 
wisse andere Beschlüsse dagegen sind für den Richter bindend, d. h. sie schaffen eine nicht 
schwankende, sondern feste Rechtslage für den Prozeß: es sind das alle Beschlüsse, gegen 
welche die sofortige Beschwerde zulässig ist, welche sofortige Beschwerde innerhalb zweier 
Wochen eingelegt werden muß. Nur wenige Ausnahmen gibt es davon; denn diese Unabänder- 
lichkeit und die sofortige Beschwerde hängen innerlich miteinander zusammen: die Beschwerde 
ist gerade deshalb eine sofortige, d. h. eine an kurze Frist gebundene, weil ein Bedürfnis besteht, 
daß eine Rechtslage ein für allemal unwandelbar geschaffen wird; so z. B., wenn es sich um 
Ablehnung eines Richters handelt: hier ist es wesentlich, daß diese Frage alsbald endgültig 
erledigt wird (ss 577, 46 ZPO.). 
Namentlich aber können Prozeßlagen entstehen durch sogenannte Zwischenurteile. 
Zwischenurteil ist eine richterliche Entscheidung in Urteilssorm, welche mit dem Endurteil die 
eine Wirkung gemeinsam hat, daß sie den Richter bindet, also eine feste Rechtslage erzeugt. 
Wann das Gericht einen Beschluß und wann es ein Zwischenurteil zu erlassen hat, ist nicht 
eine prinzipielle, sondern eine durch die besondere Prozeßordnung bestimmte Frage. Bei 
uns gibt es prozessuale Zwischenurteile, d. h. solche über Prozeßfragen, und 
materielle (§303 B PO.). So kann z. B. ein prozessuales Urteil ergehen über die Frage der 
Prozeßfähigkeit oder der Zuständigkeit (§§ 274, 275); es kann ein solches ergehen über die Frage 
der Urkundenherausgabepflicht (§§ 425, 427 ZPO. [Anordnungl); ferner über die Frage, ob 
ein Rechtsmittel richtig und rechtzeitig eingelegt und ob also die Rechtsmittellage eingetreten 
ist. Materielles Zwischenurteil ist ein Zwischenurteil über einen wesentlichen 
Punkt der materiellen Entscheidung, jedoch so, daß dieser Punkt nur die Grundlage für Bildung 
des Endurteils bietet, nicht auch schon einen Teil der Endurteilsfrage löst. Der wichtigste Fall 
ist dann gegeben, wenn bei der Schadenersatzpflicht die Frage des „ob“ und „wie hoch“ aus- 
einandergehalten wird. über die erste Frage kann ein Zwischenurteil ergehen. Ist festgesetzt, daß 
eine Schadenersatzpflicht besteht, so ist damit noch kein Teil der Endurteilsentscheidung gegeben; 
denn die Höhe der Schadenersatzpflicht kann zwischen Null und einer Million und mehr liegen; 
wohl aber ist damit eine Grundlage gegeben, auf der weitergebaut werden kann; denn der künftige 
Prozeß hat sich dann nur noch über die Höhe der Schadenersatzpflicht zu verbreiten (§304 8PO.)2. 
— — ——„ — 
1 Etwas Besonderes gilt vom Reichsgericht, welches durch Beschluß (ohne mündliche Ver- 
handlung) aussprechen kann, daß die Revision nicht richtig eingelegt und daher zu verwerfen ist, 
tl554 à 8#.O. 
:* Eine gewisse Unnatur ist hierbei allerdings nicht zu verkennen: die Höhe der Schaden- 
ersatzpflicht hängt mit der Intensität und dem Umfang der Schadenersatzpflicht zusammen; mit 
der Schadenersatzpflicht wird daher eigentlich nur ein gewisses Abstraktum festgesetzt; alles Nähere 
unterliegt der Würdigung des Liquidationsprozesses. Daher hat man auch mit Recht angenommen, 
daß die Frage, ob wegen konkurrierenden Verschuldens (§ 254 BGB.) die Entschädigung zu er- 
Kesn ist, zhuech im im Liquidationsstabium verhandelt und entschieden werden kann, RG. 14. 3. 
1910 3
	        
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