Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

340 J. Kohler. 
fechtungsklage zu bezeichnen ist. Die Anfechtung ist in das Belieben des Anfechtungsberechtigten 
gestellt, so daß, wenn dieser nicht anficht, die Entscheidung ohne weiteres bestehen bleibt; und 
außerdem ist die Anfechtung an eine bestimmte Form und Frist gebunden, ansonst sie aus- 
geschlossen und das Rechtsverhältnis vom Mangel geheilt ist. Ist dagegen die Anfechtung 
richtig erhoben und mit Erfolg durchgeführt, so ist das Rechtsverhältnis mit seinen Wirkungen 
als nichtig darzustellen, und das geschieht dadurch, daß das Anfechtungsgericht ein Abstands- 
urteil eine absolutio ab instantio ausspricht, d. h. das ganze Rechtsverhältnis als gelöst be- 
zeichnet. 
Die Frist dieser Anfechtungsklage ist ein Monat von der Kenntnis des Anfechtungsgrundes 
an. Fünf Jahre nach der Rechtskraft aber ist sic ausgeschlossen, auch wenn die Kenntnis erst nach- 
träglich enrworben wäre. Handelt es sich aber um Mängel in der Person der Partei, so kann die 
fünfjährige Frist nicht gelten; hat zum Beispiel A. statt des B. prozessiert, so wäre es gegen alle 
Gerechtigkeit, wenn nach fünf Jahren der Prozeß den B. treffen würde. Es würden dann die 
unheilvollen Zustände eintreffen, die seinerzeit in Frankreich so vielen Anlaß zur Beschwerde 
hervorriefen, wo man jemanden verklagte, die Klage in einer Weise zustellen ließ, daß sie dem 
Beklagten nicht zur Kenntnis kam, und ein Versäumnisurteil gegen ihn erwirkte, obgleich er 
von der Sache keine Kunde hatte. Man kann hier die Anfechtungsfcist erst von der Zeit der 
Kenntnisnahme an datieren, und mit Recht bestimmt die Prozeßordnung, daß die Kenntnis 
eine ganz entschiedene sein muß: die Frist beginnt erst von der Zustellung des Urteils an die 
richtige Partei oder ihren Vertreter (§ 580). 
Die Anfechtung geschieht in der Form einer Klage, die aber nicht notwendig in erster 
Instanz, sondern bei der Instanz anzustollen ist, deren Urteil angefochten wird (§ 584 3PO.). 
In anderen Fällen der Voraussetzungsmängel tritt weder Nichtigkeit noch Anfechtbarkeit 
ein, sondern nur die Folge: der Richter soll den Prozeß als ergebnislos auflösen; dies geschieht 
in der Form des Urteils, welches man absolutio ab instantia nennt (Abstandserklärung), im. 
Gegensatz zu einem sachabweisenden, den Anspruch erledigenden Urteil 1. Tut es der erste 
Richter nicht, so kann und soll es im Fall eines Rechtsmittels der zweite oder dritte Richter tun; 
deun diese Voraussetzungsmängel können auch in höherer Instanz zur Sprache gebracht werden, 
und natürlich kann der Richter höherer Instanz das tun, was der Richter erster Instanz hätte 
tun sollen. So kommt es, daß in Fällen der Anfechtung auch durch Rechtsmittel geholfen 
werden kann; für eine Reihe von Voraussetzungsmängeln ist nur dieser Weg gegeben, ja selbst 
in einigen Fällen der nicht richtigen Besetzung des Gerichts (§ 579 ZPO.). 
Fehler in dem (dem Urteil vorhergehenden) Verfahren können, wenn die Prozeßvoraus- 
setzungen gegeben sind, niemals eine Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit begründen. Denn: 
1. auch das fehlerhafte Verfahren ist ein behördliches, nicht ein bloßes Privatverfahren; 
2. sofern das fehlerhafte Verfahren eine Unrichtigkeit des Urteils herbeiführt oder dem 
richtigen Urteil den Makel unzureichender Beaoründung anheftet, muß auf den Grundsatz ver- 
wiesen werden: die Gültigkeit des Urteils ist nicht von seiner Richtigkeit abhängig, noch weniger 
davon, daß es den Charakter einer tüchtig durchgeführten Arbeit aufweist: es ist ein un- 
günstiger Ausfall, keine Nichtigkeit. 
Damit hat die 8 PO. eine jahrhundertelange Entwicklung zum Abschluß gebracht. Nach 
römischem Recht war eine nichtige Entscheidung von selbst unwirksam, und es bedurfte keines 
Rechtsbehelfs, um dies zur Geltung zu bringen. Im miittelalterlichen Rechte rang sich aber 
die Idee durch, daß wenigstens in einer Reihe von Fällen die durch die Nichtigkeit betroffene 
Partei sich wehren und auftreten müsse, und so konstruierte man die actio nullitatis, die sich 
bereits in den italienischen Stadtrechten findet :, die dann auch von der Doktrin und der Gesetz- 
gebung des Deutschen Reichs 3 weiterentwickelt wurde, hier aber zu vielen Irrtümern führte. 
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1 Ist wegen Prozeßmängel auf absolutio ab instantia zu erkennen, so kann nicht zugleich 
Sachabweisung stattfinden: das eine schlicht das andere aus; vgl. RG. 4. 1. 1911 Entsch. 75 S. 259. 
„: Uber den Brauch in Südtirol vgl. jetzt Voltelini, Acta Tirolensia p. CLXXIII; 
Statut von Vicen za 1425 II 37 f. u. a. 
2 Vgl. Kammergerichtsordnung 1521 Tit. 21 und 1555 III, Tit. 34. Aber auch noch in der 
badischen ZPO. 1864 findet sich ein actio nullitatis mit 10 jähriger Frist, 36, dazu Freydorf, 
Erläuterungen S. 321, mit Entscheidungen.
	        
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