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fechtungsklage zu bezeichnen ist. Die Anfechtung ist in das Belieben des Anfechtungsberechtigten
gestellt, so daß, wenn dieser nicht anficht, die Entscheidung ohne weiteres bestehen bleibt; und
außerdem ist die Anfechtung an eine bestimmte Form und Frist gebunden, ansonst sie aus-
geschlossen und das Rechtsverhältnis vom Mangel geheilt ist. Ist dagegen die Anfechtung
richtig erhoben und mit Erfolg durchgeführt, so ist das Rechtsverhältnis mit seinen Wirkungen
als nichtig darzustellen, und das geschieht dadurch, daß das Anfechtungsgericht ein Abstands-
urteil eine absolutio ab instantio ausspricht, d. h. das ganze Rechtsverhältnis als gelöst be-
zeichnet.
Die Frist dieser Anfechtungsklage ist ein Monat von der Kenntnis des Anfechtungsgrundes
an. Fünf Jahre nach der Rechtskraft aber ist sic ausgeschlossen, auch wenn die Kenntnis erst nach-
träglich enrworben wäre. Handelt es sich aber um Mängel in der Person der Partei, so kann die
fünfjährige Frist nicht gelten; hat zum Beispiel A. statt des B. prozessiert, so wäre es gegen alle
Gerechtigkeit, wenn nach fünf Jahren der Prozeß den B. treffen würde. Es würden dann die
unheilvollen Zustände eintreffen, die seinerzeit in Frankreich so vielen Anlaß zur Beschwerde
hervorriefen, wo man jemanden verklagte, die Klage in einer Weise zustellen ließ, daß sie dem
Beklagten nicht zur Kenntnis kam, und ein Versäumnisurteil gegen ihn erwirkte, obgleich er
von der Sache keine Kunde hatte. Man kann hier die Anfechtungsfcist erst von der Zeit der
Kenntnisnahme an datieren, und mit Recht bestimmt die Prozeßordnung, daß die Kenntnis
eine ganz entschiedene sein muß: die Frist beginnt erst von der Zustellung des Urteils an die
richtige Partei oder ihren Vertreter (§ 580).
Die Anfechtung geschieht in der Form einer Klage, die aber nicht notwendig in erster
Instanz, sondern bei der Instanz anzustollen ist, deren Urteil angefochten wird (§ 584 3PO.).
In anderen Fällen der Voraussetzungsmängel tritt weder Nichtigkeit noch Anfechtbarkeit
ein, sondern nur die Folge: der Richter soll den Prozeß als ergebnislos auflösen; dies geschieht
in der Form des Urteils, welches man absolutio ab instantia nennt (Abstandserklärung), im.
Gegensatz zu einem sachabweisenden, den Anspruch erledigenden Urteil 1. Tut es der erste
Richter nicht, so kann und soll es im Fall eines Rechtsmittels der zweite oder dritte Richter tun;
deun diese Voraussetzungsmängel können auch in höherer Instanz zur Sprache gebracht werden,
und natürlich kann der Richter höherer Instanz das tun, was der Richter erster Instanz hätte
tun sollen. So kommt es, daß in Fällen der Anfechtung auch durch Rechtsmittel geholfen
werden kann; für eine Reihe von Voraussetzungsmängeln ist nur dieser Weg gegeben, ja selbst
in einigen Fällen der nicht richtigen Besetzung des Gerichts (§ 579 ZPO.).
Fehler in dem (dem Urteil vorhergehenden) Verfahren können, wenn die Prozeßvoraus-
setzungen gegeben sind, niemals eine Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit begründen. Denn:
1. auch das fehlerhafte Verfahren ist ein behördliches, nicht ein bloßes Privatverfahren;
2. sofern das fehlerhafte Verfahren eine Unrichtigkeit des Urteils herbeiführt oder dem
richtigen Urteil den Makel unzureichender Beaoründung anheftet, muß auf den Grundsatz ver-
wiesen werden: die Gültigkeit des Urteils ist nicht von seiner Richtigkeit abhängig, noch weniger
davon, daß es den Charakter einer tüchtig durchgeführten Arbeit aufweist: es ist ein un-
günstiger Ausfall, keine Nichtigkeit.
Damit hat die 8 PO. eine jahrhundertelange Entwicklung zum Abschluß gebracht. Nach
römischem Recht war eine nichtige Entscheidung von selbst unwirksam, und es bedurfte keines
Rechtsbehelfs, um dies zur Geltung zu bringen. Im miittelalterlichen Rechte rang sich aber
die Idee durch, daß wenigstens in einer Reihe von Fällen die durch die Nichtigkeit betroffene
Partei sich wehren und auftreten müsse, und so konstruierte man die actio nullitatis, die sich
bereits in den italienischen Stadtrechten findet :, die dann auch von der Doktrin und der Gesetz-
gebung des Deutschen Reichs 3 weiterentwickelt wurde, hier aber zu vielen Irrtümern führte.
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1 Ist wegen Prozeßmängel auf absolutio ab instantia zu erkennen, so kann nicht zugleich
Sachabweisung stattfinden: das eine schlicht das andere aus; vgl. RG. 4. 1. 1911 Entsch. 75 S. 259.
„: Uber den Brauch in Südtirol vgl. jetzt Voltelini, Acta Tirolensia p. CLXXIII;
Statut von Vicen za 1425 II 37 f. u. a.
2 Vgl. Kammergerichtsordnung 1521 Tit. 21 und 1555 III, Tit. 34. Aber auch noch in der
badischen ZPO. 1864 findet sich ein actio nullitatis mit 10 jähriger Frist, 36, dazu Freydorf,
Erläuterungen S. 321, mit Entscheidungen.