Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

344 J. Kohler. 
kann in dem Prozeß zwischen A. und B., falls weder A. noch B. Eigentümer ist und das 
Urteil die Sache dem B. zuerkennt, B. natürlich nicht Eigentümer werden, schon deswegen 
nicht, weil der Staat nicht die Befugnis hat, den dritten Eigentümer, der dem Prozeß fernsteht, 
einfach zu expropriieren. Das Urteil kann natürlich nur so viel wirken, als ein über- 
tragungsakt von A. auf B. bewirken könnte: B. kann dadurch Ersitzungsbesitzer, wenn auch 
nicht Eigentümer werden, und wenn er ins Grundbuch eingetragen wird, so treten Folgen 
des Grundbucheintrages ein; insoweit wirkt das Urteil zivilistisch. 
Daraus geht hervor: 
1. Jede andere Form wird durch die Urteilsform ersetzt; bewirkt daher das Urteil den 
Übergang von Grundeigen, so findet er statt vor jedem Eintrag zum Grundbuch, und das 
Grundbuch, in dem der Eintrag fehlt, ist sofort unrichtig. Begründet das Urteil eine Schenkungs- 
pflicht, so begründet es sie ohne öffentliche Beurkundung. 
2. Das Urteil begründet das festgestellte Rechtsverhältnis so, wie es wäre, wenn es in der 
vom Urteil festgesetzten Weise bestanden hätte. Setzt also das Urteil das Vorhandensein der 
chelichen Kindschaft fest, so tritt diese ein mit allen jenen Eigenheiten, die vorhanden wären, 
wenn die Kindschaft von Geburt an bestanden hätte. 
3. Das Urteil begründet das festgesetzte Rechtsverhältnis mit allen seinen Folgerungen; 
wird also das Eigentum des A. gegenüber B. festgesetzt, so wird damit auch festgesetzt, daß A. 
dem B. gegenüber die Pflichten des Eigentümers habe; es wird damit auch festgesetzt, daß die 
gesetzlichen Nachbarrechte zwischen beiden bestehen; es wird damit auch festgesetzt, daß A. haftet, 
wenn durch die ihm als Eigentum zugesprochene Sache die Nachbarsache des B. verletzt wird. Und 
ist ein Schuldverhältnis zwischen zwei Personen festgesetzt, so ist damit auch festgesetzt, daß die 
Erscheinungen eintreten, welche mit dem Schuldverhältnis verbunden sind, also die Zinspflicht, 
die Haftung aus dem Verzug; und wird eine Schuld eines Mündels festgesetzt, so muß sie erfüllt 
werden, ohne daß die Obervormundschaft mehr hineinzureden hätte 1. 
4. Indem das Urteil ein Recht begründet oder versagt, verneint es von selbst das Gegen- 
teil, denn Sein und Nichtsein kann nicht zugleich bestehen: wer A. setzt, schließt damit das 
Nicht-A. von selbst aus. Wenn zwischen A. und B. der B. als Eigentümer erklärt worden 
ist, so ist A. von selbst der Nichteigentümer. Wenn im Fall einer negativen Feststellungsklage 
des A. gegen B. die Klage des A. abgewiesen wird, so wird dadurch zugleich das positive 
Recht des B. anerkannt 2. 
Mit dem Gesagten ist nicht verneint, daß das festgestellte Rechtsverhältnis durch das 
Urteil mit einiger Verschärfung festgesetzt werden kann, d. h. so, daß zu dem Zivilrechts- 
verhältnis, wie es nach Maßgabe der Feststellung besteht, infolge des Urteils etwas hinzutritt. 
Wie das Urteil zugleich einen vollstreckkaren Titel bietet, so kann durch das Urteil ein 
zivilistischer Zuwachs in der Art entstehen, daß dem Berechtigten ein schärferes prozessuales 
Zugreifen gestattet ist, als bisher. Insbesondere: 
1. Ist der Nießbraucher zur Sicherheitsleistung verurteilt, so kann der Eigentümer, wenn 
dem Urteil nach einer Frist nicht entsprochen wird, Sequestration verlangen (§ 1052 BGB., 
*255 ZPO.); das gleiche gilt vom Vorerben (§ 2128 BEG#B.). 
2. In ähnlicher Weise geht nach § 2193 (vgl. § 255 Z PO.) das Wahlrecht über 3. 
3. Der Gläubiger kann dem rechtskräftig verurteilten Schuldner eine Frist mit der Er- 
klärung setzen, daß er im Fall der Nichtleistung die Annahme verweigere; er kann es mit der 
Folge, daß nach fruchtlosem Ablauf der Frist eine Schadensersatzpflicht eintritt (§ 283; 
vgl. §§ 286, 326 BGB. und §255 ZPO.). In allen diesen Fällen (1—3) kann die Frist in das 
Urteil ausgenommen werden: die Frist ist eine Frist des Vollstreckungsrechts. 
Richtig Kuttner, Festgabe f. Martitz S. 235. Natürlich gilt dies aber nicht gegen 
Dritte, wenn ihre Interessen beteiligt sind und das Urteil nicht ihnen gegenüber erging (z. B. 
nicht gegen den Ehemann, wenn die Ehefrau allein verurteilt wurde). 
„ RG. 5. 4. 1909 Entsch. 71 S. 74, 30. 5. 1910 Entsch. 74 S. 128, 20. 10. 1910 JW. 40 
S. 50; 31. 1. 1911 JIW. 40 S. 329; 15. 5. 1911 JW. 40 S. 657; Kammergericht 25. 4. 1911 
Mugdan XXIII S. 172. 
* Arch. f. bürgerl. Recht XXI S. 265 f. (Zwölf Studien zum BGB. II S. 10).
	        
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