Zivilprozeß- und Konkursrecht. 349
führt nicht zur bloßen Vernichtung, sondern zur Neuerledigung der Sache, so daß an
Stelle des früheren Urteils ein anderes gesetzt; darum wird sie (ähnlich wie die Nichtig-
keitsklage) nicht notwendig beim ersten Instanzgericht, sondem bei der Instanz erhoben
werden, welche das entscheidende Urteil gesprochen hat; nur wenn das Gericht das Reichsgericht
ist, erfolgt sie regelmäßig nicht bei diesem, sondern bei dem Berufungsgericht (§8 584, 589 ff.
3PO.).
Aus dem Obigen geht hervor, daß einem durch Urteil widerrechtlich Geschädigten nicht
in allen Fällen geholfen werden kann. Wenn also z. B. ein Verbrechen erst nach fünf Jahren
entdeckt wird, so ist trotz des ungeheuren Konflikts zwischen der sichergestellten Wahrheit und
der rechtskräftigen Entscheidung, trotzdem das Verbrechen etwa zur öffentlichen Verhandlung
und Verurteilung gelangt, die Hilfe ausgeschlossen. Dasselbe kann eintreten, wenn etwa
erst nach fünf Jahren eine neue Urkunde oder ein neues Urteil entdeckt wird. Es fragt sich,
ob es hier an jeder Hilfe gebricht. Das ist zu verneinen. Allein die Hilfe kann hier niemals
eine Restitutionsklage sein, welche notwendig — namentlich auch wegen ihres Rückschlags auf
Dritte — an eine Frist gebunden sein muß, sonder lediglich eine zivilrechtliche Erstattungs-
pflicht aus unerlaubter Handlung. Wenn die Beschuldigung des Verbrechens den Gegner
selbst trifft, oder wenn ihm eine Teilnahme daran zur Last fällt, oder wenn er im Prozeß eine
Urkunde hinterhalten und ihre Benutzung verhindert hat, dann ist gegen ihn eine Schadens-
ersatzlage im Sinne der 8§ 823 und 826 BGB. gegeben. Und der Schadensersatz besteht darin,
daß er das ihm günstige Urteil nicht durchführen darf oder, was er etwa auf diesem Wege schon
erlangt hat, zurückgeben muß (vgl. § 249 BGB.).
Bemerkenswert ist, daß die dreijährige Verjährung des § 852 BGB. hier zwar vielfach
zutreffen wird, daß sie aber nicht hindert, einen Schadensersatzanspruch insoweit zu erheben,
als der schuldige Teil durch die unerlaubte Handlung bereichert ist.
Diese von mir schon seit Jahren beschriebene Aushilfe # ist natürlich zuerst hart bekämpft,
bald aber von der Praxis des Reichsgerichts erfaßt und hier in noch weiterer Form an-
gewendet worden, als es in meinem Sinn lag?2. Auch im Fall der Ehescheidung nimmt
das Reichsgericht die Möglichkeit an, daß kraft einer actio doli zwar nicht die Ehescheidung
rückgängig gemacht, aber der Arglistige zur Entschädigung verurteilt werden kanns.
III. Entscheidungskraft und Gebietshoheir.
§ 77. Die das bürgerliche Recht überwindende Kraft des Urteils gilt im Bereich des
Staatsgebietes, sie gilt nicht außerhalb desselben; denn sie ist eine Folge der Gerichtsbarkeit,
also eine Folge der Staatshoheit, die auf das Inland beschränkt ist.
Daraus ergibt sich:
Eine Entscheidung über das außerhalb des Staatsgebietes befindliche Eigentum oder
Immaterialrecht ist unwirksam. Bei der Entscheidung über Forderungsrechte gilt folgendes:
Handelt es sich um eine Verpflichtung zu einem Nichttun, und ist dies ein Nichttun im Ausland
und nur im Ausland, so daß ein Tun im Inland nicht in Betracht kommt, dann hat die Ent-
scheidung gar keine Wirksamkeit: was im Ausland ist und geschieht, kann nicht in der Kontrolle
des Inlands stehen; geht sie auf ein Nichttun im In= und Ausland, so wirkt sie nur, was das
Nichttun im Inland betrifft 4.
Bezüglich der sonstigen Forderungsrechte aber ist zu sagen: das Urteil gilt; es gilt aber
nur im inländischen Bereich.
Von dieser letzten Beschränkung aber kann es Ausnahmen geben: ein Urteil des Inlands
über ein Forderungsrecht (das nicht auf ein ausländisches Nichttun geht) kann auch für das
Ungehorsam und Vollstreckung S. 50 f. Man vgl. schon Genna (1567) II 8: duplum.
* Man vgl. hierüber meine Abhandl. in Grünhut XXXIII S. 563 und die hier zitierten
Entscheidungen. So läßt das RG. auch dann eine actio doli zu, wenn jemand, nachdem er straf-
rechtlich abgewandelt und sodann durch Versäumungsurteil zivilrechtlich verurteilt worden war,
nachträglich eine strafrechtliche Wiederaufnahme erwirkt hat; RG. 24. 10. 1911 Entsch. 77 S. 352.
* RG. 9. 2. 1911 Entsch. 75 S. 213.
* Gesammelte Beiträge S. 635 f., 559 f.