Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

356 J. Kohler. 
vollständig deckt, ist sorgfältig zu erforschen; würde etwa die Ehe wegen Irrtums für nichtig 
erklärt, so wäre dies nicht so viel, wie wenn sie wegen Täuschung für nichtig erklärt würde 1; 
daher kann hier der Kläger beschwert sein, obgleich seinem hauptsächlichen Antrag, die Ehe 
für nichtig zu erklären, entsprochen worden ist. Im übrigen ist es dem Beschwerten in das 
freie Belieben gestellt, das Rechtsmittel einzulegen oder nicht; er kann es auch bloß teilweise 
einlegen: dann darf das Gericht ihm etwas Weiteres nicht aufdrängen: das Rechtsmittelverfahren 
kann sich nicht weiter erstrecken, als er will (58 536, 569 ZPO.). 
Auch beide Teile können ein Rechtsmittel einlegen, wenn das Urteil keinem Teil völlig 
recht gegeben hat. Dann sind die beiden Rechtsmittel selbständig. 
Es kann aber auch, wenn der eine Teil das Rechtsmittel einlegt, der andere sich anschließen, 
d. h. erklären, er ließe es zwar von sich aus bei dem Urteil bewenden, wolle aber, da eine Ab- 
änderung zu seinen Ungunsten möglich ist, das vorbringen, was eine Abänderung zu seinen 
Gunsten herbeiführen könne. Der Anschließende ist von dem eingelegten Rechtsmittel abhängig; 
ist also beispielsweise das Rechtsmittel unzulässig eingelegt, so ist die Anschließung wirkungslos 
(§§ 521, 522, 556 ZPO.)2. 
Die Rechtsmittel müssen notwendig an gewisse Fristen gebunden sein. Dies war von 
jeher Rechtsgrundsatz; die deutsche Urteilsschelte mußte sofort geschehen, die römische appellatio 
in ganz kurzer Frist. Wir haben die Frist eines Monats, sowohl für Berufung als auch für 
Revision. Der Grund ist offensichtlich: die Aufgabe des Staates, durch das Urteil feste Zustände 
zu schaffen und Streitigkeiten zu heben, würde scheitern, wenn in ungemessenen Zeiten eine 
Rechtsmittelerhebung möglich wäre und auf solche Weise der ganze Apparat der Rechtspflege 
nur sehr schwankend und unbestimmt arbeiteten könnte. 
Die Einlegung der Rechtsmittel hatte im gemeinen Recht große Umständlichkeiten: man 
mußte das Rechtsmittel zuerst bei dem Untergericht „interponieren“", sodann mußte man so- 
genannte Apostel, d. h. Bescheinigung über die Einlegung, sodann Aktenabschrift, verlangen?; 
endlich mußte die Berufung bei dem Obergericht gerechtfertigt werden. Bei uns geschieht die 
Einlegung nicht bei dem Unter-, sondern bei dem Obergericht, durch Einreichung eines Schrift- 
satzes, mit der Erklärung, daß man das Rechtsmittel gegen das bestimmt bezeichnete Urteil 
erhebe (§J§# 518, 553 ZPO.) 32. Der Termin wird vom Obergericht von Amts wegen bestimmt 
und ist „den Parteien bekannt zu geben“ (S§ 520, 555 ZPO.)“. Besonderes gilt noch von 
der Revision. 
Die Rechtsmitteleinlegung kann auch durch einen Nebenintervenienten geschehen, und 
die Intewention, die bisher unterlassen wurde, kann dadurch erfolgen, daß der Interwvenient 
das Rechtsmittel einlegt. Dies hat neuerdings einige Schwierigkeit verursacht. Früher nämlich 
wurde die Berufung durch Zustellung eines Schriftsatzes eingelegt, und da die Nebenintervention 
auch durch Zustellung eines Schriftsatzes geschieht (§ 70), so war hier vollkommene überein- 
stimmung vorhanden. Durch die Novelle ist die Anderung eingetreten, daß die Berufung nicht 
durch Zustellung, sondern durch Einreichung eines Schriftsatzes erfolgt, wobei dann das Gericht 
einen Termin ansetzen, ihn beiden Teilen bekannt machen und die Rechtsmittelschrift dem 
Gegner mitteilen soll. Damit wurde die formelle Übereinstimmung gebrochen. Alsbald nach 
diesen Anderungen haben darum manche behauptet, daß nunmehr die Intervenienten nicht 
mehr in dieser Weise in den Prozeß eintreten könnten, da für das Rechtsmittel Einreichung 
eines Schriftsatzes, für die Intervention aber Zustellung eines Schriftsatzes erforderlich wäre. 
Das Reichsgericht hat mit Recht dieser Formalargumentation sofort ein Ende gemacht; 
um, nachdem im Urteil die Ehe geschieden worden ist, im Rechtsmittelverfahren die Klage zurück- 
zunehmen und die Ehe bestehen zu lassen, R. 19. 11. 1910 und 18. 5. 1911 JW. 40 S. 155, 655. 
1 RG. 18. 1. 1912 JW. 41 S. 393. 
Die Anschließung des § 522 Abs. 2 BPO. innerhalb der Berufungsfrist ist keine An- 
schließung, sondern eine selbständige Berufung; die Erklärung: „ich schließe mich der Berufung 
an“ gilt als Erklärung: „ich lege die Berufung gleichfalls ein“. 
* Noch im Jahre 1735 (21. Februar) mußte eine sächsische V O. bestimmen, daß die Appella- 
tion aufrechterhalten werden solle, wenn der berufende Teil in der Schedula appellationis einfach 
um Apostel gebeten, die Worte instanter et saepius ausgelassen, auch die Bitte nicht in Monats- 
frist wiederholt hatte! 
Die Bekanntgebung eines Offizialtermins ersetzt die „Ladung“.
	        
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