Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

Zivilprozeß- und Konkursrecht. 357 
natürlich muß eine Einreichung eines Schriftsatzes und eine sich daran anschließende Mitteilung 
an den Gegner durch das Gericht einer Zustellung des Schriftsatzes gleichkommen; sie ist ein 
volles Aquivalent, und mithin hat die Intervention auf diesem Wege vollständige Bewegungs- 
freiheit 1. Wann wird einmal der Formalismus im Prozeß aufhören! 
2. Berufung. 
§ 82. Die Berufung bewirkt eine vollständige Instanz, d. h. sie gestattet dem Richter eine 
vollständige Nachprüfung nach aller und jeder Richtung hin. Die Nachprüfung bezieht sich 
daher nicht bloß auf die Frage, ob die Rechtssätze unrichtig angewendet worden sind, sondem 
auch auf die Frage, ob die Verstandestätigkeit des Richters, welche zur Uberzeugungsbildung 
führt, ein richtiges oder unrichtiges Ergebnis gezeitigt hat. Da diese Verstandestätigkeit nicht 
durch Rechtsregeln bestimmt ist, so kann es sich hier nur um einen sogenannten tatsächlichen, 
nicht um einen Rechtsirrtum handeln; aber auch dieser tatsächliche Irrtum kann in der Be- 
rufungsinstanz seine Besserung und Klärung finden. 
Namentlich aber haben die Parteien in der Berufungsinstanz dasjenige, was man das 
Neuheitsrecht nennt: das sogenannte ius novorum; denn es handelt sich hier nicht etwa bloß 
darum, das alte Urteil von seinem Standpunkt aus zu verbessern, sondern die Aufgabe ist, an 
Stelle des unrichtigen Urteils ein richtiges zu setzen, auch dann, wenn das alte Urteil vom Stand- 
punkte seiner Tatsachen= und Beweisgrundlage aus richtig war. Es kann daher in der Be- 
rufungsinstanz auch diese Grundlage geändert und eine neue Urteilsbasis geschaffen werden. 
Unsere Zivilprozeßordnung hat ein vollständiges Neuheitsrecht gewährt, ein Neuheits- 
recht ohne die Notwendigkeit besonderer Rechtfertigung. Das gemeine Recht verlangte einen 
sogenannten Noven= oder Neuheitseid, der später allerdings dahin ermäßigt wurde, daß es ge- 
nügte, zu schwören, daß man das nicht Vorgebrachte nicht als dienlich erachtet habe. Auch die 
österreichische Zivilprozeßordnung (§ 482) hat das Neuheitsrecht beschränkt, während die 
ungarische Z3 PO. § 498 sich richtiger dem deutschen Recht angeschlossen hat. 
Nach unserem Recht ist nur das Vorbringen neuer Ansprüche ausgeschlossen; doch auch 
dies nicht unbedingt: man kann heutzutage sogar eine Klageänderung, ja sogar eine Widerklage 
in zweiter Instanz bringen, sofern der andere Teil einwilligt oder nicht widerspricht (§§ 527, 
529, 269 ZPO.) 2. Früher bestand auch eine Beschränkung in bezug auf die Aufrechnungs- 
einrede; auch diese Schranke ist bei uns im großen ganzen gefallen (vgl. S. 353). 
Da der Berufungsinstanz ein vollständiges Material zugrunde liegt, so hat sie regelrecht 
den Prozeß zu Ende zu führen und nicht etwa bloß eine negative Entscheidung zu erlassen 
unter Zurückverweisung der Sache zu nochmaliger positiver Erledigung. Nur scheinbar ist eine 
Ausnahme gegeben, wenn es sich um die Berufung gegen ein Zwischenurteil handelt, in 
welchem Falle die Weiterführung des Prozesses in gebührender Weise dem Untergericht ob- 
liegt; ebenso wenn es sich um ein prozessuales Endurteil handelt, das durch Entscheidung des 
Berufungsgerichts in ein Zwischenurteil verwandelt wird, z. B. wenn das Urteil erster Instanz 
wegen Unzuständigkeit zu einer absolutio ab instantia (Abstandsentscheidung) gelangte, während 
das Berufungsgericht die Zuständigkeit für gegeben erachtet 7. 
Wahrer Ausnahmen gibt es nur zwei: 
1. wenn das Erstinstanzgericht wesentliche Verfahrensmängel beging, so kann das 
Berufungsgericht das Verfahren (von dem Stadium der Fehlerhaftigkeit an) aufheben und 
die Sache zurückverweisen (§ 539 ZPO.); 
  
R. 12. 4. 1911 Entsch. 76 S. 167. 
Anders die ungarische BPO. 5 494, welche hierin dem früheren deutschen Rechte folgt. 
*s ¼Uber diese einfache Lappalie mußte ein Urteil der Vereinigten Senate des R. ergehen, 
19. 10. 1908 Entsch. 70 S. 180. Wie, wenn im Reassumtionsprozeß über den erbrechtlichen 
Eintritt in den Prozeß entschieden worden ist und das Berufungsgericht zu einer anderen Ent- 
scheidung kommt? Z. B. die erste Instanz hat die Beerbung verneint, die zweite bejaht sie. Die 
ungarische ZPO. 8 506 verweist in solchem Fall die Sache zu weiterer Verhandlung an die erste 
#ias zurück, was auch sehr zu loben ist; denn in der Hauptfrage ist noch gar keine Entscheidung 
erfolgt.
	        
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