Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Dritter Band. (3)

388 J. Kohler. 
Schuldner zu hindern, die gerichtlichen Maßnahmen zu durchkreuzen (5§918 3 PO., unten S. 396). 
Ebenso kann eine Verpflichtung zur Arbeit nicht auf diese Weise erzwungen werden, am wenigsten 
eine Verpflichtung zur geistigen Arbeit; denn einerseits würden hierdurch die sozialen Gegensätze 
mächtig verschärft, und sodann steht entgegen, daß bei der geistigen Arbeit der Wille es nicht 
allein ausmacht, sondern das Können; und dieses ist nicht nur von dauernden, sondern auch von 
augenblicklichen Verhältnissen bedingt 1. Wenn daher unser Recht einen Zwang zum Handeln 
gestattet, so beschränkt es diesen Zwang auf ein solches Handeln, das 1. keine Arbeit ist, also kein 
Tun mit einer schwierigeren Mühewaltung, und 2. auf ein solches Tun, das vollständig von 
der Willkür des Beklagten abhängig ist, so daß nichts weiteres als sein Wille nötig ist, um der 
gerichtlichen Aufforderung zu entsprechen. In dieser Beschränkung hat sich auch der Zwang 
im englischen Equity-Verfahren gestaltet, und in dieser Weise entspricht er der neuzeitigen 
Rechtsanschauung. Es kommen hier insbesondere Tätigkeiten in Betracht wie Rechnungs- 
ablegung, Vermögensnachweise, Leistung des Offenbarungseides und endlich solche Rechts- 
geschäfte, bei denen die rechtsgeschäftliche Mitwirkung des Schuldners nicht zu entbehren ist 
(wie Wechselzeichnung). Der Zwang erfolgt bei uns durch Geldstrafen oder Haft; die Haft 
darf sechs Monate nicht übersteigen (§§ 887 f., 913. 8PO.). Doch kann auch Schadensersatzurteil 
erfolgen (§ 893 8PO., 5 51 GGG., 5+ 16 KGW., 5 91 a GewO.); und im amtsgerichtlichen Ver- 
fahren (§ 510 b. BPO.) wie im gewerbegerichtlichen und kaufmannsgerichtlichen ist zur Abkürzung 
noch besonders vorgesehen, daß das Gericht im Falle der Verurteilung zu einer Handlung so- 
fort eine eventuelle Verurteilung auf einen bestimmt bezeichneten Schadensersatz beifügen kann. 
Ist das geschuldete Handeln ein Rechtshandeln, d. h. ein Handeln mit bestimmten Rechts- 
folgen, so bedarf es regelmäßig eines solchen Zwanges nicht, denn hier kommt nicht das Handeln, 
hier kommen nur die Rechtsfolgen des Handelns in Betracht: die Rechtsfolgen aber kann 
die Rechtsordnung auch ohne die Handlung eintreten lassen. Daher besteht hier die Vollstreckung 
im wesentlichen darin, daß auf Grund einer gerichtlichen Tätigkeit, sei es eines Beschlusses, sei 
es eines Urteiles, die Rechtsfolgen so eintreten, wie wenn die Handlung vollzogen worden wäre; 
was man auch damit auszudrücken pflegt, daß die Rechtshandlung als geschehen betrachtet wird *. 
Dies ist in unserem deutschen Rechte in der Art ausgestaltet, daß regelmäßig das rechtskräftige 
Urteil, welches den Beklagten zu einem solchen Rechtshandeln zwingt, genügt, so daß mit der 
Rechtskraft des Urteils die Rechtsfolgen eintreten (§ 894 Z PO.) 3. Dies reicht allerdings nicht 
immer aus, denn eine Rechtshandlung kann nur als geschehen betrachtet werden, soweit sie 
Rechtswirkungen unter den Parteien, nicht soweit sie Rechtsfolgen Dritten gegenüber erzeugt. 
Sie kann ferner nur als geschehen betrachtet werden, sofern die Rechtsfolgen nicht kraft Rechts- 
notwendigkeit, z. B. kraft Verkehrsrechts, an eine bestimmte Form gebunden sind, zu der man 
des Beklagten bedarf, z. B. wenn der Beklagte zur Ausstellung eines Wechsels verurteilt ist. 
Hier hat man schon versucht, die Schwierigkeit dadurch zu überwinden, daß man den Beklagten 
verurteilte, einen Bevollmächtigten aufzustellen, der die Rechtshandlung vollzöge, und daß 
man dann die Vollmacht als erteilt erklärte. Dies ist aber im internationalen Verkehr un- 
zulänglich: hier bleibt nichts übrig, als zum Zwang im obigen Sinne die Zuflucht zu nehmen 
(§9§ 894 f. BPO.)“. Handelt es sich um eine Pflicht zur Auflassung, so genügt das rechts- 
1 In Österreich hat man schon einen derartigen Zwang gegen Schauspieler ausgeübt; vgl. 
Sperl, Exekutionshaft, Allgem. Osterreich. Gerichtszeitung B. 60 Nr. 10. 
*“5 schon in italienischen Statuten, z. B. Castellarquato (1145) III 32: si quis pro- 
miserit ... aliquam rem vendere ... duod si requisitus.. bblato dicto pretio et de 
praccepto potestatis consignato et deposito, sit et esse intelligatur facta ipsa venditio. 
* Damit ist der Fall verwandt, daß das Gericht dem Schuldner auf Antrag im Urteil eine 
Frist setzen kann, die sonst der Gläubiger im Vollstreckungsverfahren zu setzen hätte, sofern bei 
fruchtlosem Ablauf der Frist Schadensersatzanspruch oder Sequestration stattfindet oder das Wahl- 
recht vom Beklagten auf den Kläger übergeht (§255 3PO.; vgl. mit §§9 283, 1052, 2128, 2193 BGB.). 
In diesem Fall tritt der rechtliche Erfolg der gläuberischen Fristsetzung durch gerichtliche Tätigkeit ein. 
Einen merkwürdigen Fall behandelt das OLG. Hamburg 14. 6. 1901 (Hanseat. Gerichtsztg. 
1901, Beibl. S. 269): Ein Ehemann, der der Geschlechtskrankheit verdächtig war, wurde verurteilt, 
seinen Arzt vom Geheimnis zu entbinden, damit er im Prozeß mit seiner Frau Zeugnis geben 
dürfe! Das Urteil ist völlig verfehlt. Richtig hat das RG. 16. 11. 1911 JIW. 41 S. 75 entschieden, 
daß die Weigerung des Mannes, den Arzt vom Geheimnis zu befreien, nur ein Beweisgrund 
sein kann, um eine Geschlechtskrankheit und dementsprechend einen Ehebruch anzunehmen.
	        
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