Zivilprozeß- und Konlkursrech. 395
der Zerlegung des Prozesses auch hier dem Beschleunigungsbestreben dienstbar gemacht. Ent-
sprechend wird auch das Vorbehaltsurteil von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar erklärt
(6 592 ff., 708 3 PO.).
Fehlen die Voraussetzungen des Urkundenprozesses, so wird die Klage in dieser Prozeßart
abgewiesen (durch Abstandsurteil, absolutio ab instantia), §5 597 38 PO., wogegen die Berufung
stattfindet. Erfolgt dann der Urkundenprozeß zweiter Instanz, so findet auch das Nachverfahren
in zweiter Instanz statt.
V. Arrestprozeß.
& 113. Völlig dem germanischen Rechte gehört der Arrestprozeß an. Er hat sich überall
im deutschen Rechte aus der Selbsthilfe entwickelt, welche man meist unter Zuziehung einer
obrigkeitlichen Person zuließ 1. Seine eigentliche Gestaltung aber gewann er im mittelalter-
lichen Italien, und zwar zunächst als Personalarrest, indem man den fremden Schuldner mit
seiner Person festhielt, bis er durch Zahlung ausgelöst wurde. Dieses Verfahren beschränkte sich
durchaus nicht auf die Einzelperson, sondern die ganze Stadtgemeinde mußte für den Schuldner
einstehen. Das ganze Mittelalter ist gekennzeichnet durch den sogenannten Repressalienarrest:
wenn jemand den Bürger einer anderen Stadt zum Schuldner hatte und dieser nicht zahlte,
so pflegte man ohne weiteres einen jeden anderen Bürger, dessen man habhaft werden konnte,
in Haft zu legen, bis die Schuld ausgelöst war 2. Auch für die Schuld einer Stadtgemeinde
mußte ein jedes Mitglied persönlich einstehen. Erst allmählich haben die miteinander ver-
trauten und verbündeten Städte, z. B. Städte der lombardischen Liga, diese Repressalien-
haftung aufgegeben 3, so daß ein Stadtbürger — sofern er nicht selbst Schuldner war — sicher
und ungestört das Gebiet einer fremden Stadt betreten konnte 4. Eine ähnliche Entwicklung
ließ sich in den deutschen Städten verfolgen, so in Verträgen zwischen Worms und den
Nachbarstädten Sö. Außerdem bestanden die Privilegien der Marktfreiheit ".
1 So in Italien, vgl. Jvrea (14. Jahrh.) Mon. hist. patr. I p. 1239, Teramo (1440)
z 25 (Ed. Savini); eine Besonderheit ließ man bei dem Wirt gegenüber fremden Gästen zu,
Turin (1360) M. h. p. I1 p. 712. So auch in den nordfranzösischen Stadtrechten des 12. und
13. Jahrhunderts. So in Soissons: nul ne peut saisir sinon le maire et les jurés (bei Co Ili-
net, Etude sur la saisie privée p. 131 f., wo auch andere Belege).
„ Alb. de Rosato de stat. qu. 52. Vgll. Wach, Der italienische Arrestprozeß S. 47 f.
In manchen Statuten wurde er beschränkt auf den Fall, daß die Bürger trotz Anforderungen an
die fremde Stadt dort ihr Recht nicht erlangten; so Pistoja (1296) 1V 142, Rom (1363) I 104,
106, Piacenza (1391) IV 37, 38, Castellarquato (1445) IV 51 u. a. Ist der Repressalienarrest
ausgeübt, so hat die Stadt sofort dafür zu sorgen, daß der wahre Schuldige die Lösung herbeiführt,
Pistoja (1296) IV 79. Über das Verfahren in Florenz vgl. Lastig, Entwicklungswege des
Handelsrechts S. 270 f. und Z. f. Völkerrecht I S. 284. Über den Repressalienarrest in Süd-
frankreich vgl. Stadtrecht von Bayonne (1273) a. 104 GZalasque Ville de Bayonne
II p. 333), Fors de Béarn dbei Bourd. de Richeb. IV p. 1084).
* So Statuten von Parma lp. 59, I 2p. 257 (in der Mon. ad hist. Parm. pert.); so
Novara (1460) c. 107; so bestand ein Vertrag zwischen Bologna und Florenz de non conveniendo
unum pro alio (80logna stat. 1250 I 1 p. 65 in den Mon. istor. di Romagna), ebenso ein
Vertrag von 1266 zwischen Padua und Treviso (Statuten von Padua nr. 1379).
4 So auch in Frankreich und England seit dem 12. Jahrhundert. Vgl. die lehrreiche Studie
von Collinet, Etudes sur la saisie privée p. 106 f. So Soissons a. 11: nemo capietur,
nisi sit debitor vel fidejussor (ib. p. 107); so Peronne a. 18: nullus vel res ejus pro debito
alterius arrestetur, de quo non sit debitor vel plegius (ib.) u. a. Über den Repressalienarrest
bei Marktschulden vgl. Huwvelin, Droit de marchös et foires p. 429.
* Kohler und Köhne, Wormser Recht S. 31. Aber noch die sächsischen Konstitutionen
1572 I1 30 mußten bestimmen, daß der „Kummer“ nur die Partei, nicht auch ihre Landsleute treffen
dürfe, und nach diesen Konstitutionen 1572 1 29 und der sächsischen PO. 1622 tit. 51 4 10 mußte
der Kummer je innerhalb 14 Tagen zweimal erneuert und das zweitemal Klage in der Hauptsache
und Ladung des Schuldners damit verbunden werden. Einen Fall des Repressalienarrests aus 1660
s. in meinen „Beiträgen zur german. Privatrechtsgesch.“ III, S. 29.
* Vgl. Huvelin p. 442 f., Collinet, Saisie privée p. 111, Statuten von Miran-
dola (1386) VIp. 144, Privileg von 1408 in Kohler und Liesegang, Beiträge zur Gesch.
des Röm. Rechts II S. 120.