400 J. Kohler.
welches den individuellen Prozeß schärfer betont als das germanische; aber trotzdem gibt es
auch bei uns einige Fälle, wo der Gedanke durchbricht, daß die Folgen des Prozesses nicht auf
die Parteien beschränkt sein sollen, sondern sich auf alle Interessenten erstrecken.
Ein Ausläufer dieses Gedankens war schon der vielverbreitete mittelalterliche Satz, daß
eine Entscheidung auch Dritten gegenüber mindestens ein praejudicium, einen halben Beweis
für das Recht ergebe 1.
Der setzte Ausläufer dieser Bestrebungen ist der Satz des schwedischen Rechts, daß das
Urteil auch gegen Dritte gilt, welche Jahr und Tag ihm nicht widersprochen haben 2.
Andere Fälle sind die des altitalienischen Rechts, wo man dem Dritten die Drittappellation
gewährte; sodann die französische tieree opposition und der collateral attack des nord-
amerikanischen Rechts.
Bei uns lassen sich drei Ausflüsse dieses Gedankens entdecken:
1. die Rechtskraft in Statusprozessen;
2. die Wirkung auf Dritte kraft Zuzugs Dritter; so Hauptintervention und ähnliche Ein-
richtungen;
3. das Aufgebotsverfahren.
II. Rechtskraft in Statusprozessen.
§ 117. Der Grundsatz des individuellen Prozesses wird in Statussachen durchbrochen;
eine solche Durchbrechung liegt aber noch nicht darin, daß die für nichtig erklärte Ehe fürder
allen gegenüber für nicht mehr bestehend gilt, und daß die festgestellte Kindschaft fürder allen
gegenüber als Kindschaft gilt; denn dies ergibt sich aus der res judicata von selbst.
Unsere Z3PO. aber geht weiter: sie bestimmt, daß eine derartige Entscheidung auch in
ihrer Wirkung auf die Vergangenheit für Dritte maßgebend ist. Die Ehe ist also für Dritte
nicht nur nichtig von diesem Augenblicke an, sondern sie gilt als niemals gültig gewesen. Diese
Wirkung ist überschießend, beruht aber auf der Erwägung, daß in solchem Falle alle Maßregeln
getroffen sind, um ein wahres und von der Willkür der Parteien unabhängiges Ergebnis zu
erzielen. Anderseits ist es für die Regelung der Verhältnisse von Vorteil, wenn eine einheit-
liche, mit gleicher Wirkung gegen alle ausgestattete Entscheidung erfolgt. Wünschenswert wäre
es, wenn hier etwaige Drittinteressenten durch ein Aufgebot oder in irgendeiner Weise heran-
gezogen würden, um im Prozesse mitzuwirken, so daß die Wirkung sich auch nach streng pro-
zessualen Grundsätzen rechtfertigte. Dies hat die 8PO. § 629, 643 unterlassen, obgleich doch
der Gedanke sehr nahe gelegen wäre. Doch werden die Härten für gutgläubige Dritte durch
51344 BGB. möcglichst ausgeglichen.
Diese soziale Wirkung tritt jedoch nur dann ein, wenn die Entscheidung gegenüber dem
legitimus contradictor erfolgt ist, d. h. gegenüber dem, auf den sich das Rechtsverhältnis un-
mittelbar bezieht, und zwar auf den allein es sich umnittelbar bezieht. Anders wäre es,
wenn noch ein zweiter legitimus contradictor vorhanden wäre: dieser wäre natürlich nicht ge-
bunden. Daher kann z. B. die Entscheidung über Gültigkeit der Ehe nicht gegenüber einem
anderen, früheren oder späteren Ehegatten wirken; die Entscheidung über die elterliche Gewalt
kann nicht wirken gegenüber einem anderen, der selber die elterliche Gewalt in Anspruch nimmt.
Von den zwei legitimi contradictores muß der eine so viel gelten wie der andere.
III. Juzug Oritter.
1. Hauptintervention.
§* 118. Der germanische Satz, daß, wer ein gegen sich gerichtetes Verfahren vor sich sieht
und nicht hindernd eintritt, sich die Folgen gefallen lassen muß, hat zum Prozeßinstitut der
sogenannten Hauptintewention geführt. Wenn zwei Personen über Eigentum oder über
1 So z. B. die Entscheidung der Rota Genuae, Decis. 103 (Kölner Ausgabe 1622).
Agl. die Stelle bei Mendelssohn-Bartholdy, Grenzen der Rechtskraft S. 40.