Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. 409
als jurisdictio mixta oder quasi contentiosa bezeichnet, ohne daß sich ein bestimmter feststehender
Sinn dieser Bezeichnungen herausgebildet hätte.
3. Das Verfahren bei Erledigung der bezeichneten Angelegenheiten (1, 2) fand zu-
nächst keine besondere Regelung; seine Gestaltung blieb der Praxis überlassen. Teilweise griff
indessen im Interesse der Rechtssicherheit die Gesetzgebung des alten Deutschen
Reichs ein. So erging zur Regelung der Formen der Notariatsurkunden über Rechts-
geschäfte, insbesondere der Testamente, die Reichsnotariatsordnung v. 8. Oktober 1512 und
wurden die bei Vormundschaften der Obrigkeit (Obervormundschaft) zukommenden Verrichtungen
(Beeidigung der Vormünder, Verlangen der Sicherheitsleistung, Vermögensverzeichnung,
Rechnungslegung) durch die Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 näher ausgestaltet.
In der Folgezeit vollzog sich die weitere Entwicklung in den Einzelterritorien. Nur
in wenigen derselben kam es zu einer umfassenderen Regelung der freiwilligen Gerichtsbarkeit:
so für Preußen im zweiten Teil der Allgemeinen Gerichtsordnung (1795), für Württem-
berg in dem Gesetz über das Notariatswesen vom 14. Juni 1843, für Osterreich in dem
Gesetz vom 9. August 1854 über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer
Streitsachen, für Baden in dem Gesetz über die Verwaltung der freiwilligen Gerichtsbarkeit
und das Notariat vom 28. August 1864, später ersetzt durch dasjenige vom 6. Februar 1879, für
Sachsen in den Verordnungen, betreffend das Verfahren in nichtstreitigen Rechtssachen,
vom 9. Januar 1865 und 3. August 1868, zuletzt für Hessen in dem Gesetz vom 5. Juni 1879,
das Verfahren in Sachen der nichtstreitigen Gerichtsbarkeit betreffend. In anderen deutschen
Staaten ergingen Gesetze beschränkteren Inhalts, insbesondere vielfach Notariatsordnungen
und Vorschriften zur Regelung des Grundbuchwesens (vor allem die preuß. Grundbuchordnung
vom 5. Mai 1872). Allenthalben verblieb daneben dem Gerichtsgebrauch ein mehr oder minder
weiter Spielraum.
§# 3. Quellen und Literatur des geltenden Rechts. 1. Die Quellen des geltenden,
die freiwillige Gerichtsbarkeit regelnden Rechts gehören teils dem Reichsrecht, teils dem Landes-
recht an.
a) Als reichsrechtliche Quelle kommt vor allem das Gesetz über die An-
gelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Mai 1898
(RGBl. S. 189, auf Grund des Ermächtigungsgesetzes vom gleichen Tage in abgeänderter
Fassung veröffentlicht am 20. Mai 1898 im RBl. S. 771) in Betracht. Das Gesetz enthält
im ersten Abschnitt (§§ 1—34) allgemeine Vorschriften für alle durch Reichsgesetz den Gerichten
übertragenen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§ 1), im zweiten bis zehnten
Abschnitt (§§ 35—184) besondere Bestimmungen für einzelne Arten von Sachen (vgl. unten
§ 29) und im elften Abschnitt (s 185—200) Schlußbestimmungen. Für das neugeschaffene
Reichsprivatrecht (bürgerliches und Handelsrecht), das vielfach eine Mitwirkung der Gerichte
bei Gestaltung der Rechtsverhältnisse vorsieht, ergab sich die ergänzende reichsrechtliche Regelung
der Zuständigkeit und des Verfahrens der Gerichte in diesen Angelegenheiten als unabweisbare
Notwendigkeit, da eine landesrechtlich verschiedenartige Regelung die Einheit des materiellen
Rechts gefährdet hätte. Diese im Art. 1 CG. z. BB. vorgesehene reichsrechtliche Regelung
in dem Umfange, der zur einheitlichen Durchführung des materiellen Rechts erforderlich erschien,
unternahm das genannte Gesetz. Der Entwurf desselben ist im Reichsjustizamte unter Berück-
sichtigung eines von Planck, dem Redaktor des Familienrechts innerhalb der ersten Kommission
zur Ausarbeitung des BGB., im Jahr 1881 aufgestellten, im Jahr 1888 umgearbeiteten Ent-
wurfs, der ursprünglich nur Angelegenheiten des Familienrechts behandelte, umgearbeitet
auf Nachlaßsachen ausgedehnt wurde, jedoch in der genannten Kommission nicht mehr beraten
war, ausgearbeitet, am 5. Okt. 1897 dem Bundesrate, dann in der von diesem angenommenen
abgeänderten Gestalt am 26. November 1897 nebst einer erläuternden Denkschrift dem Reichs-
tage vorgelegt und von diesem, der auf Grund erfolgter Kommissionsberatung (Berichterstatter
Wellstein) eine Anzahl Einzeländerungen beschloß, jedoch die Grundlagen des Entwurfs
unberührt ließ, in dritter Lesung am 10. März 1898 genehmigt worden. Eine von der Kom-
mission beschlossene Resolution, worin die verbündeten Regierungen um einheitliche Regelung
des Kostenwesens in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie des Notariats ersucht