Grundzüge des Handelsrechts. 79
Die Form der e. G. war an sich auch Versicherungsvereinen auf Gegen-
seitigkeit zugänglich. Das RG. v. 12. Mai 1901 (VAG.) schont eingetragene Genossen-
schaften dieser Art (§ 102), hat aber ihre Neubildung abgeschnitten (§ 6). Die erforderliche staat-
liche Erlaubnis zum Betriebe der Mitgliederwersicherung darf nur solchen Vereinen erteilt werden,
die in der neu geregelten besonderen Form des „Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit
(§5 15—53) errichtet sind. Diese Vereine erlangen die Rechtsfähigkeit durch die staatliche Er-
laubnis zum Geschäftsbetriebe (§ 15). Sie treten, obschon sie keine Kaufleute sind, unter Kauf-
mannsrecht (oben § 15 Z. 3) und werden ins Handelsregister eingetragen (§& 30—33). Doch
gilt dies nicht für kleinere Versicherungsvereine (§ 53). Die Versicherungsvereine auf Gegen-
seitigkeit haben mit der e. G. den Charakter der wirtschaftlichen Personalgenossenschaft gemein,
ihr Recht ist aber eigentümlich gestaltet (Darstellung im Versicherungsrecht). Neben ihnen
wurden als private Verbände für gegenseitige Krankenversicherung die eingeschriebenen Hilfs-
kassen anerkannt, die aber durch das RG. v. 30. Dez. 1911 dem VA. unterworfen sind. Außer-
dem jedoch bestehen öffentlich-rechtliche Versicherungsverbände nach Reichsrecht (für Arbeiter-
versicherung) und Landesrecht (Knappschaften, öffentliche Feuerversicherung usw.).
3. Wesen. Die e. G. ist eine wirtschaftliche Personalgenossenschaft. Sie ist eine Ge-
nossenschaft, daher ein rechtsfähiger Verein, aber mit stark ausgeprägten Sonderrechten und
Sonderpflichten der Glieder. Sie ist eine Personalgenossenschaft, nicht (wie oft angenommen
wird) ein Kapitalverein; gleich allen Gegenseitigkeitsvereinen bezweckt sie die Steigerung per-
sönlicher Kräfte durch Vergemeinschaftung und ist daher grundsätzlich auf die Persönlichkeit
gebaut. Sie ist jedoch eine streng wirtschaftliche Personalgenossenschaft und deshalb darauf
angelegt, aus sich heraus eine Vermögensgemeinschaft zu entwickeln, die sich in Kapitalguthaben
der Mitglieder ausdrückt; nur ist im Gegensatz zu den Kapitalvereinen die Vermögensbeteiligung
nicht Grundlage, sondern Ausfluß der Mitgliedschaft.
Literatur: Gierke, Genossenschaftsr. I 1030 ff. Rosenthal, Die Kredit-,
Erwerbs= und Wirtschaftsgenossenschaften, 1871. v. Sicherer, Die Genossenschaftsgesetzgebung
in Deutschland, 1872. Wolff b. Endemann I1 §§ 143—162. Schultze= Delitzsch, Streit-
fragen im deutschen Genossenschaftsrecht, 1880. Goldschmidt, Erwerbs= und Wirtschafts-
genossenschaften, 18822. Reinartz, Die e. G. als Korporation, 1882. — Kommentare zum
Genoss.-Ges. v. 1884 von Parisius u. Crüger, 6. Aufl. 1908; Pröbst 1889; Maurer
1890, 2. Aufl. v. Birken bihl, 1898; Joöl, 1890; O. Richter, 3. Aufl. 1901; Bon-
schad 1899. Goldschmidt, Die Haftpflicht der Genossen und das Umlageverfahren, 1888;
Z. f. HR. XXXVII 23ff. Cosack Fs 220—227. K. Lehmann §* 105—112. Gareis
38. E. Loening, Entwicklung des Genossenschaftswesens in Deutschl., 1911. H. Crüger,
Die Rechtsprechung zum deutsch. Genossenschaftsges., 3. f. HR. LXXII 1 ff. — Parisius-
Crüger, Formularbuch usw., 3. Aufl. 1900. Blätter für Genossenschaftswesen. — Über Ver-
sicherungsvereine a. G. Sievers, Z. f. HR. XILVIII 251 ff. LI 329 ff. Wörner, Der
Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, 1904. Gareis § 39 a.
Ausländ. Ges.: dem deutschen Recht verwandt Österr. G. v. 9. April 1873, vgl. Stroß,
Das Osterr. Genossenschaftsr., 1887; Schweiz. OR. Art. 678—715; Ungar. HG#B. ös 223—257.—
In England Spezialgesetze für die einzelnen Gattungen; vgl. E. Loening, Das englische Ge-
nossenschaftsrecht, Jahrb. f. Nat.-Ok. u. Stat. XCVII 33 ff. — In Frankreich seit Ges. v. 24. Juli
1867 die Rechtsform eines modifizierten Kapitalvereins als société à capital variable. — Ugl.
H. Crüger im Handwörterb. der Staatswiss. 2 III 1108 ff.
§ 61. Errichtung. Ein als Erwerbs= oder Wirtschaftsgenossenschaft eingerichteter Verein,
der die Rechte einer e. G. erwerben will, muß eine vom Gegenstande des Unternehmens ent-
lehnte Firma, die einen die Haftungsart kennzeichnenden Zusatz enthalten muß, dagegen einen
Personennamen nicht enthalten darf, führen (§ 3), aus mindestens sieben Genossen bestehen
(5 4), ein schriftliches Statut besitzen (§ 5) und einen Vorstand und einen Aussichtsrat, deren
Mitglieder Genossen sind, haben (§ 9). Das Statut muß die wesentlichen Bestimmungen treffen
(§FF— und gewisse besondere Bestimmungen, falls sie getroffen sind, aufnehmen (§ 8). Auf
Grund gehöriger Anmeldung durch den Vorstand (unter Einreichung des von den Genossen
unterzeichneten Statuts, einer Genossenliste und der Urkunden über die Organbestellung) er-
folgt die Eintragung des Statuts und der Vorstandsmitglieder in das Genossenschaftsregister,
das beim Gericht in ähnlicher Weise wie das Handelsregister geführt wird, und die Veröffent-
lichung eines Auszuges (§§ 10—12, über Zweigniederlassungen § 14, über die Registerführung
Bekanntmachung des Bundesrats v. 1. Juli 1899). Mit der Eintragung in das Genossenschafts-