Grundzüge des Handelsrechts. 89
Fünftes Buch.
Handelsobligationenrecht.
Erstes Kapitel.
Handelsgeschäfte überhaupt.
§ 71. Begriff und Bedeutung. Handelzgeschäfte sind alle Geschäfte eines Kaufmanns,
die zum Betriebe seines Handelsgewerbes gehören; Grundhandelzsgeschäfte (oben § 13) sind
auch dann Handelzsgeschäfte, wenn sie ein Kaufmann im Betriebe seines gewöhnlich auf andere
Geschäfte gerichteten Handelsgewerbes schließt (& 343).
Es gilt eine gesetzliche Wermutung für die Zugehörigkeit jedes von einem Kauf-
mann vorgenommenen Rechtsgeschäftes zu seinem Handelsbetriebe. Der Gegenbeweis ist
unverschränkt. Die Vermutung verstärkt sich aber hinsichtlich der von einem Kaufmann ge-
zeichneten Schuldscheine dahin, daß sie nur durch den Inhalt der Urkunde selbst (daher bei einem
Wechsel oder sonstigen abstrakten Schuldschein überhaupt nicht) widerlegbar ist (S 344).
Für Handelsgeschäfte gilt ein Sonderrecht, durch das die Regeln des gemeinen
Obligationenrechts teils abgeändert, teils ergänzt werden. Diese besonderen Rechtssätze
kommen der Regel nach auch bei einseitigen Handelsgeschäften und zwar gleichmäßig für beide
Teile zur Anwendung (5 345). Doch gibt es zahlreiche Ausnahmen, indem viele Rechtssätze
nur für zweiseitige Handelsgeschäfte, andere bei einseitigen nur für den kaufmännischen
Teil gelten.
Der Umfang dieses Sonderrechts war im alten H#B., das sich nicht nur die Be-
friedigung der eigentümlichen Bedürfnisse des Handels, sondern auch die Schaffung gemein-
deutscher Grundzüge des Obligationenrechts für den Handel zum Ziel setzte, sehr erheblich
(Buch IV Abschn. 1—4). Im neuen H. weisen gerade die allgemeinen Vorschriften über
Handelzsgeschäfte (Buch III Abschn. 1) die größte Verlustliste auf. Das meiste ist unverändert
oder wenig verändert in das BGB. übergegangen.
Literatur: Regelsberger b. Endemann II 381 ff. K. Lehmann 7 21, 116.
Gareis 41 ff. Soga#-. 22 ff. M. Wolff, 3Z. f. HR. XLVII 247 ff.; Über einige
Grundbegriffe des HR. S. 146 ff.
§ 72. Inhalt. Der Inhalt der handelsrechtlichen Schuldverhältnisse wird in erster Linie
durch die Willenserklärungen der Beteiligten bestimmt.
1. Für die Auslegung in zweifelhaften Fällen gelten die allgemeinen Regeln des
bürgerlichen Rechts. Die ausdrückliche Vorschrift des alten HGB. Art. 278, daß der wahre
Wille zu erforschen sei, ist als selbstverständlich gestrichen. Die Vorschrift des BGB. 5F 157,
nach der Verträge so auszulegen sind, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrs-
sitte es erfordern, hat für Handelsgeschäfte besondere Bedeutung. Sie wird aber durch die
Vorschrift des HGB. F 346 ergänzt, nach der unter Kaufleuten in Ansehung der Bedeutung
und Wirkung von Handlungen und Unterlassungen auf die Handelssitte Rücksicht zu nehmen
ist loben § 5).
2. Von den Schranken der Vertragsfreiheit wurden im alten HG. die
festen Schranken des älteren Rechts für Handelsgeschäfte ganz oder teilweise beseitigt (An-
fechtung wegen laesio enormis Art. 256, lex Anastasiana Art. 299, Grenze des Höchstbetrages
der Vertragsstrafe Art. 284 Abs. 1, Zinstaxen Art. 292—293). Alle diese Beschränkungen
sind seitdem überhaupt weggefallen. Dagegen treffen die zum Ersatz eingeführten Beschrän-
kungen des neueren Rechts, insbesondere die allgemeinen Vorschriften über wucherische Ge-
schäfte und die Einzelvorschriften gegen wucherische Ausbeutung, auch den Handelsverkehr.
(Die in § 2 des RG. v. 14. Nov. 1867 für Kaufmannsschulden gemachte Ausnahme von dem
unentziehbaren halbjährigen Kündigungsrecht des Schuldners bei einem Zinssatz über 6. v. H.