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Namen „Bundeskanzleramt“ eine oberste und vorerst einzige Behörde ins Leben ruft, zuständig
„für die dem Bundeskanzler obliegende Verwaltung und Beaufsichtigung der durch die Ver-
fassung des Norddeutschen Bundes zu Gegenständen der Bundesverwaltung gewordenen bzw.
unter die Aufsicht des Bundespräsidiums gestellten Angelegenheiten, sowie für die dem Bundes-
kanzler zustehende Bearbeitung der übrigen Bundesangelegenheiten“ (BGBl. 1867 S. 29).
So erhielt der Bundesminister sein Ministerium. Aus dem Schoße des Bundes-(seit 1871:
Reichs-)kanzleramts ist dann teils durch Verselbständigung anfänglich bestehender und nachmals
errichteter Abteilungen dieses Amts (z. B. Post= und Telegraphenabteilung, Justizabteilung),
teils durch Ubernahme ehemals preußischer Behörden (Ministerium der auswärtigen Angelegen-
heiten, Marineministerium) in den Amtsorganismus des Reichs und das Ressort des Reichs-
kanzlers, teils endlich durch Neuschöpfung selbständiger, aber dem Reichskanzler untergeordneter
Behördenformationen (z. B. Reichseisenbahnamt, RGes. vom 27. Juni 1873) das System der
heutigen obersten Reichsverwaltungsbehörden („Reichsämter“ im engeren Sinne) er-
wachsen; ein 1879 im wesentlichen zum Abschluß gelangter Entwicklungsprozeß, welcher zu einer
vollständigen Aufteilung der Geschäfte des ehemaligen Bundes- bzw. Reichskanzleramts
unter eine Schar selbständiger, einander koordinierter Behörden (Chefs derselben sind
meistens Spezialstellvertreter des Reichskanzlers, s. oben; regelmäßiger Titel: „Staatssekretär“)
geführt, das „Reichskanzleramt“ (1879) aufgelöst und den Reichskanzler in die Stellung eines
obersten Chefs und Premierministers versetzt hat, welcher nunmehr allen Ressorts gleich nahe
und gleich femn steht, sie alle gleichmäßig zu beaufsichtigen und zu leiten hat, von der unmittel-
baren Verbindung mit ihnen aber losgelöst ist (Bureau oder Kabinett des Reichskanzlers unter
dem Namen „Reichskanzlei“ seit 1879). Die gegenwärtig bestehenden Ressort-Unterministerien
des Reichs, „Reichsämter“ im engeren Sinne sind folgende:
1. Das Reichsamt des Innerrn t(geschaffen 1879; Restzuständigkeit des damals
aufgehobenen Reichskanzleramts, Präsumtion der Kompetenz gegenüber den anderen Reichs-
ämtern). Es ist in vier Abteilungen gegliedert. Ressortmäßig untergeordnete Stellen sind
insbesondere: das Statistische Amt, Gesundheitsamt, die Normaleichungskommission, das Kanal-
amt, Schiffvermessungsamt, ferner das Reichsversicherungsamt, Bundesamt für das Heimats-
wesen, Oberseeamt, Patentamt, kaiserliches Aufsichtsamt für Privatversicherung; — diese
letzteren fünf im Rahmen ihrer rechtsprechenden (nicht verwaltenden) Kompetenz mit richter-
licher Unabhängigkeit ausgestattet.
2. Das Auswärtige Amt lseit 1. Januar 1870; vorher Verwaltung der auswärtigen
Angelegenheiten des Norddeutschen Bundes durch das preußische Ministerium des Auswärtigen,
welches seitdem nominell nicht aufgehoben, aber mit dem Auswärtigen Amt des Bundes, dann
Reiches real und personell uniert wurde). Drei Abteilungen: die politische, die handelspolitische
und die Rechtsabteilung. Nachgeordnete Stellen sind insbesondere die Kaiserlichen Missionen
— Botschaften, Gesandtschaften, Ministerresidenturen — und die Konsulate.
3. Das Reichsmarineamt für die Verwaltungs-(nicht Kommandozangelegen-
heiten der Kriegsmarine des Reichs, unter diesem Namen seit 1889, heworgegangen aus dem
1872 als „Kaiserliche Admiralität“ auf das Reich übernommenen preußischen Marineministerium.
4. Das Reichsjustizamt (1874 geschaffene, 1876 verselbständigte Abteilung des
ehemaligen Reichskanzleramts), für die Justizverwaltung (außer der dem Präsidenten des
Reichsmilitärgerichts (Militär-Strafgerichtsordnung vom 1. Dezember 1898 § 111] über-
tragenen Militärjustizverwaltung) des Reichs und die Gesetzgebungsarbeiten auf dem Gebiete
des Justizwesens.
5. Das Reichspostamt. 6. Das Reichsschatzamt. — Die Chefs der bisher
genannten sechs Reichsämter führen den Titel „Staatssekretär“ und sind bisher stets mit der
Stellvertretung des Reichskanzlers betraut worden. — 7. Das Reichsamt fürdie Ver-
waltung der Reichseisenbahnen (Vorstand war bisher immer der preußische
Minister der öffentlichen Arbeiten, wodurch die Verwaltung der Reichseisenbahnen mit der
der preußischen Staatseisenbahnen in Personalunion gesetzt wird). Die unmittelbare Ver-
waltung der Reichseisenbahnen (diese befinden sich ausschließlich in Elsaß-Lothringen) erfolgt
durch die dem Reichsamt für die Verwaltung der Reichseisenbahnen untergeordnete General-