8 G. Anschütz.
lichen Streites. — 3. Mit anderen als Rechtsbegriffen wird operiert, wenn man den Staat mit
einem Gebäude, einem Mechanismus, einer Maschine vergleicht imechanische Staats-
theorie des 18. Jahrhunderts; vgl. Gierke, Althusius S. 198, 200) oder ihn, im politischen
Stil der Renaissance, ein „Kunstwerk“ nennt (Burckhardt, Kultur der Renaissance in
Italien, S. 1 ff.). Diese Anschauungsweisen betonen, in bewußtem Gegensatz zu jener theologisch-
mystischen Auffassung des Staates, im Staate das Werk des Menschenwillens und der Menschen-
hand; sehr richtig, gewiß, aber als Juristen wollen wir wissen, welcher rechtswissenschaftlichen
Kategorie sich dies gewaltigste aller Menschenwerke einfügt. Gebäude, Maschine und Kunst-
werk sind keine Rechtsbegriffe. — 4. Nicht anders wird das Urteil aber auch über die bedeut-
samste der nichtjuristischen Staatstheorien, die organische Staatstheorie, zu lauten haben.
Diese will der Staat als lebendigen Organismus, geradezu als Lebewesen höherer Ordnung
begreifen. Dogmengeschichtlich angeschaut ist es ein Rückschlag gegen den Rationalismus des
18. Jahrhunderts und die ihm adäquate mechanische Staatsauffassung gewesen, als die organische
Theorie, welche in das Altertum zurückreicht und z. B. der platonischen Philosophie schon voll-
kommen geläufig war, von der historischen Rechtsschule des 19. Jahrhunderts (Eichhorn,
Niebuhr, Puchta, Savigny) herwvorgezogen und aufs neue belebt wurde. Die
mechanische Staatslehre hatte im Staate das Werk nicht sowohl menschlichen Willens als mensch-
licher Willkür erblickt; hiergegen und gegen die „Vertragstheorie“ des Naturrechts (die eine
Theorie nicht sowohl des Wesens als vor allem der Entstehung des Staates war; vgl.
unten 12) Front machend, wies die historische Schule mit Nachdruck auf die natürlichen Ent-
wicklungsgesetze hin, welche, über Menschenmacht und zwillkür erhaben, das Werden und Ver-
gehen in der Natur und auch das Blühen und Welken der Staaten bestimmen. Damit war
sowohl der Naturwüchsige, das organisch Gewachsene wie das historisch Gewordene im Staate
betont, und die Bezeichnung des Staates als Organismus sollte die zusammenfassende Formel
für beides sein. Die organische Staatstheorie hat sich lange Zeit bei Juristen und Nichtjuristen
als sehr überzeugungskräftig erwiesen, und noch heute bekennen sich angesehene Namen zu ihr
(genannt seien von Juristen Bluntschli und Gierke, von Philosophen Wundt und
H. Spencer). Doch hat sie in neuerer Zeit viel an Boden verloren. Die stetig zunehmende
Schärfe und Konsequenz der rein juristischen Methode in der Staatsrechtswissenschaft lehrte
einsehen, daß der Begriff des Organismus so wenig ein Rechts begriff ist wie der des Mechanis-
mus, und daß daher weder der letztere noch der erstere Begriff in die Rechtstheorie eingeführt
werden darf. (Bahnbrechend für die Überwindung der organischen Staatstheorie war außer
Gerber, Grundzüge, S. 217ff., insbesondere Jellinek, System, S. 39ff., Staatsl. 1 142ff.).
Die Hervorhebung der Analogien zwischen dem Staat und einem Lebewesen läuft auf ein
Gleichnis hinaus, welches Anlaß gibt zu mancherlei lehrreichen und anregenden Be-
trachtungen, bei dem man aber nie vergessen darf, daß es eben auch nur ein Gleichnis ist,
nicht mehr.
So viel über die nichtjuristischen Lehren vom Staate. Im Gegensatz zu ihnen bestreben
sich die juristischen Staatstheorien, den Staat als Rechtsbegriff zu konzipieren, das heißt sein
Wesen mit ausschließlich rechtswissenschaftlichen Mitteln, soweit möglich, zu erklären. Hierher
sind zu zählen: 1. die Auffassung des Staates als Rechtsobjekt, als Gegenstand einer
über ihm stehenden, rechtsförmlichen Willensherrschaft (Objekttheorie). Es ist eine Anschauung,
welche dem deutschen Territorialstaatswesen früherer Jahrhunderte unzweifelhaft zugrunde
lag. Man bezeichnet das Wesen dieser heute überwundenen Entwicklungsstufe des deutschen
Landesstaatsrechts als „Patrimonialstaat", um damit anzuzeigen, daß dem Zeitbewußtsein
das Territorium — Land und Leute mitsamt dem über ihnen aufgerichteten Komplex von
Hoheitsrechten (Landeshoheit) — als Herrschaftsobjekt, ja im Sinne der naiv-privatrechtlichen
Auffassung aller öffentlichen Gewalt, welche das Mittelalter kennzeichnet, nach Schluß des-
selben aber noch lange nachgewirkt hat, geradezu als erb- und eigentümlicher Besitz des Landes-
herrn und seines Hauses galt. An wissenschaftlichen Verfechtern des Patrimonialsystems hat
es nicht gefehlt, weder zu Zeiten, welche die patrimoniale Ordnung der Dinge in vielen
deutschen Ländern noch aufrecht sahen (z. B. Biener, De natura et indole dominü in terri-
torüs Germaniae, 1780), noch später, im 19. Jahrhundert, als diese Ordnung bereits der Ge-
schichte angehörte (L. v. Haller, Maurenbrecher). Es versteht sich, daß diese Patri-