Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Staatsrecht. 127 
Die Frage, wer berechtigt ist, den Minister zur Verantwortung zu ziehen, bzw. welche 
Instanz über Fall und Folgen zu erkennen hat, ist verschieden zu beantworten, je nach Art der 
Rechtsfolgen, die im Einzelfall gegen den Minister herbeigeführt werden wollen. Der Minister 
ist zunächst zivil- und strafrechtlich verantwortlich (wie der Reichskanzler; oben S. 112); diese 
Verantwortlichkeit wird von den Gerichten im ordentlichen Zivil- und Strafverfahren geltend- 
gemacht. Er ist ferner disziplinarisch seinem einzigen Vorgesetzten und Dienstherrn, dem Mon- 
archen, verantwortlich, der ihn (Kontrasignatur!) jederzeit ohne weiteres aus dem Amte ent- 
lassen kann. Er ist schließlich der Volksvertretung, dem Landtage, verantwortlich, und 
diese Seite der ministeriellen Stellung ist es, auf welche allgemeine Verfassungsbestimmungen 
wie Art. 44 der preuß. VlI.: „Die Minister des Königs sind verantwortlich. Alle Regierungs- 
akte des Königs bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Gegenzeichnung eines Ministers, welcher da- 
durch die Verantwortlichkeit übermimmt,“ vorwiegend abzielen. Die rechtliche Natur dieses 
Verantwortlichkeitsverhältnisses des Ministers zum Landtag ist dieselbe wie die der Verant- 
wortlichkeit des Reichskanzlers vor Bundesrat und Reichstag; ihre Kennzeichnung als „politische" 
Verantwortlichkeit unterliegt denselben Bedenken, welche oben S. 112, 113 geltendgemacht 
wurden; das Wort „politisch“ ist hier jedenfalls nicht am Platze, sofern damit das Gegenteil 
von „rechtlich"“ bezeichnet werden will. Die Mittel, welche dem Landtage behufs Geltend- 
machung der ministeriellen Verantwortlichkeit in die Hand gegeben sind, sind nicht sowohl 
politische Machtmittel als Rechts mittel. Dies gilt schon von den allgemein zulässigen parla- 
mentarischen Angriffswaffen der Interpellation, Resolution, Adresse an die Krone (s. oben 
S. 113 und unten § 34), noch viel mehr aber von dem Recht der Ministeranklage. 
Dieses dem Reichsrecht (loben S. 113) unbekannte, in Preußen durch die VII., Art. 61, 
aufgenommene und in den Grundlinien vorgezeichnete, mangels des verheißenen und erforder- 
lichen Ausführungsgesetzes jedoch praktisch unanwendbare Institut hat eine nähere Ausbildung 
vorzugsweise in dem Recht der Mittelstaaten erhalten: bayr. Ges. vom 4. Juni 1848, württ. 
Vll. §§ 195 ff., sächs. Vu. §§ 141 ff., bad. Vll. S§ 67à—67sf (Ges. vom 20. Februar 1868), hess. 
Ges. vom 5. Juli 1821. Es besteht darin, daß dem Landtage das Recht beigelegt ist, unter be- 
stimmten Voraussetzungen die Minister — als einzelne oder in ihrer Gesamtheit (Staats- 
ministerium) — vor einer besonders geordneten Instanz, dem Staatsgerichtshof, an- 
zuklagen, um so eine unabhängige, inappellable, auch dem Begnadigungsrecht der Krone ent- 
rückte Entscheidung darüber herbeizuführen, ob und mit welchen Rechtsfolgen dem Angeklagten 
eine Pflichtverletzung zur Last zu legen sei. Die Gegenstände der Ministeranklage sind 
überall enger begrenzt als das Gebiet der Ministerverantwortlichkeit im ganzen. Ist auch, wie 
erwähnt, der Minister überhaupt (und zwar nicht nur der Krone, sondern auch der Volksver- 
tretung) für die politische Rätlichkeit seiner Amtshandlungen nicht minder wie für deren recht- 
liche Gültigkeit verantwortlich, so kann er doch angeklagt werden nur wegen Rechts-, ins- 
besondere Verfassungsverletzungen. Nur die badische Vll., § 67 a, geht hierüber hinaus, indem sie 
die Ministeranklage nicht allein wegen Verletzung der Verfassung, sonderm auch wegen „schwerer 
Gefährdung der Sicherheit oder Wohlfahrt des Staates“ zuläßt. Ankläger ist der Landtag; 
in den Staaten mit Zweikammersystem entweder beide Kammern zusammen mit dem Er- 
fordemis eines übereinstimmenden Beschlusses (Bayern, Sachsen, Hessen) oder jede Kammer 
für sich (preuß. Zukunftsrecht, Württemberg), oder die zweite Kammer allein (Baden). Rich- 
ter, „Staatsgerichtshof“, ist der „oberste Gerichtshof in vereinigten Senaten“ (preuß. Vl. 
Art. 61), oder ein Ausschuß des obersten Gerichtshofs mit Zuziehung von Geschworenen (Bayern), 
oder das Oberlandesgericht (Hessen), oder ein besonderer, ad boc zu konstituierender, je zur 
Hälfte von der Regierung und vom Landtage zu besetzender Staatsgerichtshof (Württemberg, 
Sachsen), oder endlich die Erste Kammer, verstärkt durch richterliche Beamte (Baden). Das 
Urteil geht bei Bejahung der Schuldfrage höchstenfalls auf Entfemung aus Amt und Staats- 
dienst; es ist äußerlich und nach der Form des Verfahrens, welches ihm voraufgeht, ein Straf- 
urteil, seiner rechtlichen Natur nach jedoch von einem solchen verschieden; es ist kein Akt der 
ordentlichen Strafrechtspflege (Kriminalgerichtsbarkeit), sondem der Disziplinargewalt 
(Dienststrafgewalt). Auf den Rechtsboden der Beamtendisziplin gestellt, können allein die 
Staatsgerichtshöfe, als Disziplinarinstanzern also, den Reichsjustizgesetzen gegenüber 
Geltung und Bestand behaupten, nicht dagegen als Strafgerichte, da die Strafrechtspflege
	        
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