Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

134 G. Anschütz. 
8 30. Regentschaft und Regierungsstellvertretung!. 
I. Regentschaft (Reichsverwesung, Regierungsverwesung) ist Vertretung des wegen 
Minderjährigkeit oder aus anderen Gründen dauernd regierungsunfähigen Monarchen durch 
einen von der Verfassung bezeichneten oder nach Maßgabe der Verfassung zu bestimmenden 
Ersatzmann: den Regenten (Reichs-, Regierungsverweser). Das Rechtsinstitut ist notwendig 
gemacht durch den, wie oben § 28 S. 131 erwähnt, im modernen Staatsrecht zur Herrschaft 
gelangten Grundsatz, daß Regierungsunfähigkeit wegen körperlicher oder geistiger Mängel und 
Gebrechen kein Sukzessionshindermis bildet. 
1. Voraussetzungen der Regentschaft. Ein übereinstimmend als solcher 
anerkannter Regentschaftsfall ist zunächst Minderjährigkeit des Monarchen: Anfall der Krone 
vor erreichter Großjährigkeit. Als Termin der letzteren bestimmen die meisten Verfassungen 
und Hausgesetze das vollendete 18. Lebensjahr. Sodann tritt Regentschaft ein, wenn der 
Monarch „sonst“ (abgesehen von der Minderjährigkeit) „dauernd verhindert ist, selbst zu regieren“ 
(preuß. VU. Art. 56). Solche Hinderungsgründe können gegeben sein durch Krankheit oder 
Schwäche des Geistes, schwere körperliche Gebrechen (wie etwa Taubstummheit, Blindheit), 
dauernde Abwesenheit (man denke an Kriegsgefangenschaft, Verschollenheit). Auch Ungewiß- 
heit über die Person des Monarchen kann einen Regentschaftsgrund abgeben. Es herrscht etwa 
beim Tode des Landesherru Streit darüber, wer Thronfolger ist. Oder: der Landesherr stirbt 
unter Hinterlassung einer schwangeren Witwe, durch deren Niederkunft erst die auf den Thron 
gelangende Person bezeichnet wird; hier muß „ventris nomine“ ein Regent eintreten. 
2. Subjekt der Regentschaft. Hierüber verhalten sich die Verfassungen ver- 
schieden. Als natürlichste Lösung der Frage erscheint die Berufung des der Krone zunächst 
stehenden volljährigen und sonst regierungsfähigen Agnaten zur Regentschaft. Dieser Agnat 
ist denn auch geborener Regent in Preußen (Art. 56), Bayem, Sachsen und Württem- 
berg, in Bayemm (Tit. II 9 10, 11) jedoch nur, sofern durch königliche Anordnung nicht ein anderer 
Prinz des königlichen Hauses im Hinblick auf einen bestimmten, zu erwartenden Fall zum 
Regenten bestellt ist. Wenn ein volljähriger, regierungsfähiger Agnat nicht vorhanden ist, fällt 
die Regentschaft an weibliche Mitglieder des Hauses (Bayem, II & 13: Königin-Witwe, in 
Ermangelung dieser wird ein sog. Kronbeamter Regent; Württ. § 12: Mutter bzw. Großmutter 
des Königs) oder es tritt — so in Preußen, Art. 57 — Wahlrecht des Landtages 
ein (ein in bezug auf Wählbarkeit völlig unbeschränktes, durch beide Häuser des Landtages im 
Zusammentritt auszuübendes Wahlrecht). 
3. Einleitung der Regentschaft, Feststellung des Regent- 
schaftsfalls. Hierfür schreiben die Verfassungen ein besonderes, rechtsförmliches Ver- 
fahren vor. In Preußen (Art. 56, 57) steht die Initiative dem geborenen Regenten (s. oben), 
falls ein solcher nicht vorhanden, dem Staatsministerium, die Entscheidung über die Notwendig- 
keit der Regentschaft aber dem sofort einzuberufenden Landtag (vereinigte Sitzung beider 
Häuser) zu. Die Regentschaft beginnt mit dem Initiativakt, mit der „Übernahme“ der Regent- 
schaft durch den nächsten Agnaten (preuß. Verf. Art. 56). Ahnlich in Bayem (II, 3 11; 
v. Seydel, bayr. Staatsr. 1 231). In Sachsen und Württemberg ist zur Feststellung des 
Regentschaftsfalles ein übereinstimmender Beschluß der Agnaten und des Landtages erforderlich. 
Von denselben Faktoren und in den gleichen Formen, welche für die Feststellung des Regent- 
schaftsfalls zuständig und vorgeschrieben sind, ist über den Fortfall der Voraussetzungen, also 
über die Beendigung der Regentschaft, zu beschließen. Das Amt des einzelnen 
Regenten endigt durch dessen Tod, Verzicht, eintretende Regierungsunfähigkeit, sowie dadurch, 
daß der beim Eintritt des Regentschaftsfalls zunächst berufene Agnat wegen Minderjährigkeit 
oder sonstwie begründeten Regierungsunfähigkeit die Regentschaft vorerst nicht antreten konnte, 
später aber diese Mängel überwindet. 
i Meyer--Anschütz §P 92 ff.; Schulze, Deutsches Staatsr. 1 253 ff.; v. Gerber, 
Grundzüge S. 103 ff.; v. Seydel, Bayer. Staatsr. 1 223 ff. Monographische Darstellungen 
des Rechts der Regentschaft von: v. Kirchenheim (1880), Hancke (1887), Dieckmann 
(1888), F. Peters (1889), J. Freund (1903), letztere Schrift mit sorgfältigem Literaturverzeichnis.
	        
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